Kansas City, 15 Feb 2020
Josh Gibson. Buck Leonard. Pop Lloyd. Cool Papa Bell. Satchel Paige.
Grosse Namen am Firmament des amerikanischen Baseballsports, aber kein Teil der Baseball-Volkstümlichkeit, wie sie das US-Führungspersonal ergreift, wenn Nähe zur Basis erforderlich ist. Mit Ausnahme von Satchel Paige: Seine Sprüche sind Folklore geworden wie jene des legendären Yogi Berra (“déjà vu all over again”). “Wie alt wärst Du, wenn Du so alt wärst wie Du Dich fühlst? “ fragte er die Kritiker am Ende seiner langen Karriere (Paige spielte sein letztes Profispiel mit 59 Jahren). Oder: age is a case of mind over matter. If you don’t mind, it don’t matter. Das lässt man besser auf Englisch stehen.
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Satchel Paige und die anderen sind die ganz grossen Namen aus der Epoche der Rassentrennung auf dem professionellen Baseball-Spielfeld: Hier der weisse Major League Baseball, dort die schwarzen Negro Leagues. Oder colored, wie man auch zu sagen pflegte. Wie das war, ist heute schwer zu verstehen – ein wenig vergleichbar mit der einstigen Separation von Bürger- und Arbeitersportvereinen in Europa, aber der Vergleich hinkt: Die Absonderung der Arbeiterkultur war selbstgewählt. Die Rassensegregation war es nicht.
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Die Stars der Negro Leagues waren erste Klasse, die Kenner und die Spieler anerkannten es. Josh Gibson wurde “der schwarze Babe Ruth” genannt. Er war so gut, dass Ruth – der erste Superstar – auch “der weisse Josh Gibson” hiess. Cool Papa Bell gilt als einer der schnellsten Baseballer aller Zeiten. “Er löscht das Licht und ist im Bett, bevor es dunkel wird”, sagte Satchel Paige. Paiges Leistung als Pitcher ist nicht nur seiner Langlebigkeit wegen herausragend, sondern auch wegen der Konstanz und Kontrolle seines fastball. Aber wie gut diese Spieler waren, lässt sich nicht mehr ermessen. Für den schwarzen Baseball fehlen die minutiösen Statistiken, die in den Major Leagues seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Spielzug für Spielzug erfasst werden. Die tägliche Berichterstattung fand nicht statt. “Der schwarze Baseball wurde von den mainstream-Medien ignoriert”, sagt der Historiker Ray Doswell. “Und die schwarzen Medien erschienen allenfalls wöchentlich”.
Ray Doswell ist der Kurator des Negro League Baseball Museums in Kansas City. Dort wird die Geschichte des schwarzen Baseballs erählt – downtown, Ecke 18th und Vine, wo während der Prohibitionszeit der Bär tobte, vom verbotenen Alkohol beflügelt und vom korrupten Bürgermeister Pendergast toleriert. Im gleichen Komplex ist ein Jazz Museum untergebracht: Die Gegend um 18th and Vine war schliesslich auch der Ort, wo Bennie Moten, Count Basie, Jay McShann und Charlie Parker gross wurden. Heute ist bis auf einen Block von der vergangenen Herrlichkeit nichts mehr zu sehen.
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Das Museum ist eine pralle Fülle an Memorabilien: Plakate, Zeitungsberichten, Biografien, Statuen, Uniformen, Photos,- Videos, Berichten über Klubs, die aufstiegen und versanken und Ligen, die kamen und gingen. Eine Ecke ist den Frauen gewidmet. Es gab Eignerinnen, manchmal mit einem finanzstarken Ehemann im Hintergrund, und in den fünfziger Jahren, als es mit der Liga zu Ende ging, auch Spielerinnen. Effi Manley, die Eignerin der Newark Eagles gehört dazu, und Mamie “Peanut” Johnson, die für die Indianapolis Colts warf, mit respektablem Erfolg. Später war sie Krankenschwester in der Hauptstadt Washington.
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Statistik wird klein geschrieben. “Wir gehen darüber hinaus”, sagt Kurator Ray Doswell. “Die schwarzen Ligen waren eine Reaktion auf die Rassentrennung, sie waren Unternehmungen der Unterhaltungsindustrie. Das schwarze Unternehmertum spielt eine Hauptrolle.”
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Mit der Rassentrennung im professionellen US-Baseball war es seit jeher so eine Sache: Als zahlendes Publikum waren alle überall willkommen. Die Trennlinie wurde auf dem Feld gezogen. Dort entschied sehr bald die Hautfarbe, wer spielen durfte und wer nicht. Nicht in den Anfangszeiten: 1884 stand mit Moses Fleetwood Walker der erste “Farbige” unter Vertrag. Hellhäutigere coloreds konnten sich als Weisse durchmogeln oder als “Cubans”. So nannten sich nichtweisse Mannschaften.
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Dann aber war schnell Schluss. Die schwarzen Spieler wurden boykottiert – nicht von den Klubeignern, sondern von den weissen Spielern. Im Juli 1887 musste Fleetwood Walker im Comiskey Park von South Chicago das Feld verlassen, nachdem die gegnerische Mannschaft mit Streik drohte. In der Folge wurden nirgendwo mehr schwarze Spieler angestellt, weil sie angeblich das “Risiko” von Unrast und Streik darstellten. Die Major Leagues blieben weiss. “Es gab nie eine festgeschriebene Regel, wonach keine Schwarzen spielen durften”, sagt Ray Doswell. “Aber es gab die Absprache unter den Eigentümern”. So wurde das freie Unternehmertum im professionellen Baseballsport interpretiert.
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Die Reaktion war freies Unternehmertum im schwarzen Amerika. Parallel zu den weissen entstanden im Osten und im heutigen Mittelwesten des Landes schwarze Proficlubs – auf Profit ausgerichtete Unternehmungen. Sie spielten gegeneinander oder gingen auf Tournee, um gegen die jeweiligen hometeams anzutreten, sei es in den Städten oder auf dem Land. Barnstorming nannte man das, Scheunensturm von einer Scheune zur anderen. Ein Prototyp waren die Page Fence Giants, gegründet vom schwarzen Unternehmer Bud Fowler mit zwei Geschäftsleuten aus Michigan und finanziert von einer Maschendrahtfirma, welche mit dem Team Werbung machte. Die Tours der Teams führten über die Landesgrenzen hinaus nach Mexiko und in die Karibik, wo sie gewaltige Massen anzogen. Schwarze Spieler liessen sich oft in Lateinamerika verpflichten, wo sie keinen Diskriminierungen ausgesetzt waren und essen, trinken oder übernachten durften, wo sie wollten. In den USA war das anders. “Das einzige, was sich geändert hat”, sagte Satchel Paige über seinen Ruhm, “ist, dass Baseball den Paige von einem Zweitklassbürger zu einem Zweitklassunsterblichen machte”.
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Nach der Jahrhundertwende gab es alles, was für eine professionelle Sportindustrie nötig ist, mit einer Ausnahme: Es fehlte die Meisterschaft, “die organisierte Ermittlung eines wahren Champions”, wie Ray Doswell es nennt. Nach dem Ersten Weltkrieg war es soweit. Der Anfang wurde in Kansas City gemacht. Am 13/14 Februar 1920 gründeten acht Eigner in einem für Schwarze errichteten YMCA in downtown Kansas City die Negro National League. Sie wurde kurz darauf in die Südstaaten erweitert, zwei Jahre später folgte die Gründung einer rivalisierenden American Negro League mit Teams von der US-Ostküste. Ab 1924 trugen sie eine Negro World Series um den schwarzen Weltmeistertitel aus. Die Weltwirtschaftskrise machte vielen dieser Unternehmungen den Garaus, aber bereits 1933 wurde die Negro National League neu gegründet, diesmal im Osten. Es folgte ein zweiter Boom. Die gigantische Aufrüstung zum Zweiten Weltkrieg saugte schwarze Massen aus dem Süden in die Industriestädte Nordamerikas – ein Publikum, das Eintritt bezahlen konnte und unterhalten werden wollte. Und weil der Kriegsdienst die weissen Major Leagues härter traf, lieferte der schwarze Baseball in den 1940er Jahren den besseren, attraktiveren Sport. Zum Beispiel in der Hauptstadt Washington, wo das schwarze Spitzenteam Homestead Grays und des miserablen weissen Senators im gleichen Stadion spielten, vor dem gleichen Publikum. “Wenn Du am Dienstag des Senators siehst und am Sonntag die Grays und wenn die Hautfarbe das einzige ist, was die Spieler daran hindert, in den Majors mitzumachen, dann beginnst Du nachzudenken”, erklärt Ray Doswell, was der Klassenunterschied in den vierziger Jahren bewirkte.
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Und nachgedacht wurde viel. Der Krieg gegen die Rassisten in Nazideutschland und Japan und die Apartheid zuhause passten nicht zusammen. Man begann, vom Doppel-V zu sprechen – Sieg (victory) in der Welt und daheim. Die kommunistische Tageszeitung Daily Worker veröffentlichte mit Genuss die unterschiedlichen Zuschauerzahlen von weissen und schwarzen Spielen und sammelte über eine Million Unterschriften für Gleichberechtigung auf dem Feld. In New York – mit einem schwarzen und drei weissen Profi-Teams eine Hochburg – trat der Staat mit Anti-Diskriminierungsklauseln im Arbeitsrecht auf den Plan. Hinzu kam wirtschaftlicher Druck. Wenn der Sport die Massen weiterhin fesseln sollte, mussten die Besten gegeneinander spielen. Und wenn ein schlecht laufendes Unternehmen sich verstärken wollte, lag es nahe, das Reservoir an schwarzem Talent anzuzapfen.
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Es gab hunderte von Einwänden. Die Klub-Eigner waren nicht alle honorig. Das schwarze Bürgertum, welches das nötige Kapital aufzubringen vermochte, war dünn gesät. Manche schwarzen Baseball-Unternehmer waren Makler, die an der Vermietung von Stadien oder Ausrüstungen verdienten, etliche waren zwielichtige Gestalten aus dem illegalen Wettgeschäft, welche die Profi-Teams als Vehikel für die Geldwäsche benutzten. “Eine Klasse von gutmeinenden Gangstern”, nennt Historiker Ray Doswell solche Figuren, “als Unternehmer ebenso geschäftstüchtig wie kriminell.” Zum Beispiel Gus Greenley aus Pittsburgh. Er investierte in seine Pittsburgh Crawfords, um sich Unabhängigkeiten von weissen Partnerschaften zu verschaffen. Er schaffte einen Team-Bus an und baute ein eigenes Stadion. Er verpflichtete Satchel Paige.
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Bis zu seinem Tod 1944 legte der oberste Boss im Geschäft – “Baseball Commissioner” Kenesaw Mountain Landis – ein stählernes Veto gegen alle Integrationsvorschläge ein. Seine Nachfolger hatten ein offeneres Ohr. Branch Rickey, der Manager der damaligen Brooklyn Dodgers machte den Anfang. Über die Landesgrenzen hinaus prüfte er Kandidaten für die Rolle als erster Farbiger im professionellen Baseball. Die Wahl fiel auf Frank Robinson, im Krieg Offizier der Panzertruppe, danach Spieler bei den Kansas City Monarchs. Rickeys Examen war rigoros: Er warf dem Prüfling alle möglichen rassistischen Schlötterlinge an den Kopf, um zu sehen, wie er im Ernstfall reagieren würde – wohl wissend, dass die Auftritte in den Stadien und in der Kabine viel Einsteckvermögen brauchten. Nachdem Robinson sich schriftlich verpflichtet hatte, gegenüber rassistischen Angriffen nicht auszurasten, wurde er verpflichtet. Am 15. April 1947 spielte er sein erstes Spiel auf Ebbets Field in Brooklyn: Die Barriere war gebrochen. Aber die Pionierarbeit war genauso hart, die Manager Rickey es vorausgesehen hatte. Jackie Robinson wurde in der Kabine geschnitten, auf dem Spielfeld beschimpft und mit Absicht verletzt. Wie in den 1880er Jahren drohten Spieler mit Streik, wenn der Schwarze spielte – aber diesmal hielt die Liga dagegen. Wer streikte, wurde mit Ausschluss bedroht. Mitspieler hielten zu Robinson. “Es gibt viele Gründe, einen Mann zu hassen”, sagte Dodgers-Spieler PeeWee Reese. “Rasse gehört nicht dazu”.
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Bald zogen weitere Teams nach und stellten schwarze Spieler an: Willie Mays, Ray Campanella. Hank Aaron. Und Satchel Paige, der im Alter von 42 Jahren doch noch zu einem Vertrag in den Major Leagues kam (und es mehrfach ins All Star Team) schaffte). Aber es ging auch im Baseball nicht auf einmal. In einigen Städten, beispielsweise Philadelphia, dauerte es mit dem Nachzug der Integration. Auch aus wirtschaftlichen Gründen. Die New York Yankees zum Beispiel waren im Besitz des Stadions, das die schwarzen Newark Eagles mieteten – es gab ein geschäftliches Interesse, die Rassentrennung auf dem Spielfeld zu erhalten. Denn es war klar: Wenn die schwarzen Stars in den Major Leagues auftreten konnten, war dem schwarzen Baseball die Geschäftsgrundlage entzogen. 1959, als die Boston Red Sox als letztes Unternehmen einen schwarzen Spieler verpflichteten, waren die Negro National League und die American Negro League bereits Geschichte. Als letzte zogen Indianapolis Clowns mit einer Show-Mannschaft bis Anfang der achtziger Jahre durch die Lande.
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Ausserhalb des Spielfeldes hielten die Trennmauern länger. Der erste schwarze Team-Manager war Frank Robinson 1975 bei den Cleveland Indians. Bis ein Schwarzer in die Hall of Fame in Cooperstown NY aufgenommen wurde, vergingen Jahre elender statistischer Besserwisserei – es war Satchel Paige 1971. Und das Eigentum an den franchises bleibt weiss. Die einzigen schwarzen Miteigentümer im professionellen Baseball sind Magic Johnson bei den Dodgers und Derek Jeter bei den Marlins. Beides ehemalige Superstars, die den Eignern auch als “Sprecher” dienen.
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Der grösste schwarze Anteil an Berufs-Baseballspielern lag bei rund 18 Prozent in den 1980er Jahren. Seither ist er rückläufig, im vergangenen Jahrzehnt 7-9 Prozent. Parallel dazu stieg der Anteil an Spielern aus der Karibik und Mittelamerika. Nicht von ungefähr. Die Major Leagues investierten in den 1990er Jahren bewusst in Baseball-Schulen in diesen Ländern, um junges, billiges Talent heranzuziehen, “wie der europäische Fussball in Afrika”, sagt Ray Doswell. Ist das Billig-Konkurrenz für Afroamerikaner? “Ich will das nicht so sagen”, antwortet Ray Doswell. “Das ist eine gewerkschaftliche Frage. Ich weigere mich, Schwarze und Latinos gegeneinander auszuspielen, kulturell leben wir in derselben Diaspora”. Doch ja, der Profi-Baseball habe in den USA nicht investiert. “Das Geld floss in den billigeren Basketball, oder in die Soccer-Blase für Weisse”, sagt Doswell. Mittlerweile steht Baseball in der Gefahr, seine dominierende Rolle zu verlieren. An den Schulen gibt es keine organisierten Meisterschaften wie in anderen Sportarten. College-Baseball ist ein Mauerblümchen. Es ist nicht mehr hip, Baseball zu mögen.
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Jetzt ist Major League Baseball daran, das schwarze Amerika wieder zu entdecken. Man richtet Pflanzschulen für urban youth ein – die sogenannten “Innenstädte”. Das ist code für “schwarze Jugend”. Der Anfang sei in Südkalifornien gemacht worden, erzählt Ray Doswell. Und jetzt gehe es gerade hier weiter. Im Negro League Baseball Museum von Kansas City ist eine “Akademie” für Jugendliche entstanden, gemeinschaftlich getragen von der Liga, von der Spielergewerkschaft und von den lokalen Kansas City Royals. Die Teilnehmer erhalten professionellen Anschauungsunterricht – die Buben von Major-League-Profis, die Mädchen von Softball-Oympionikinnen. Es wird eine “breakthrough series” organisiert. Das Museum selbst tut das Seinige. Ray Doswell ist gerade daran, ein Programm zu entwerfen, das den Mathematik- und Physikunterricht mit Baseball verbindet. Der Hintergedanke: Anreize schaffen, um Baseball und Schule einander näher zu bringen. “Es gibt viele andere Möglichkeiten für Schulausflüge”, sagt Doswell. “Das Museum muss relevant bleiben”.
Erschienen auf www.watson.ch