Ernst Riedwyl (68) aus Belp ist Hotelier und Restaurateur in San Cristobal de las Casas (Chiapas/Mexiko). Er musste die Zahl seiner Angestellten um die Hälfte reduzieren und kann die andere Hälfte noch zwei Monate über Wasser halten.
Hallo Ernst, wie läuft es bei Euch in San Cristobal?
Alle unsere Geschäfte sind geschlossen, das Restaurant, das Hotel. Ich musste die Hälfte meiner Angestellten entlassen oder ziehen lassen. Die andere Hälfte arbeitet zum halben Lohn. So versuche ich, diejenigen zu halten, mit denen ein Neuanfang möglich wäre oder mit denen wir am längsten verbunden sind. Einige haben über zwanzig Jahre hier gearbeitet. Es macht mich traurig.
Und Deine Frau, was ist mit ihrem Laden?
Alles geschlossen. Coco hat den Mietern die Hälfte des Zinses erlassen, aus den gleichen Gründen.
Müsst Ihr auf behördliches Geheiss schliessen?
Theoretisch dürften wir offen halten. Aber was ist der Punkt, wenn keine Gäste kommen?
Die amerikanischen Touristen, nicht wahr?
Das stimmt nur für Cancún und andere Stranddestinationen in Mexiko. Wir leben vor allem von den mexikanischen Touristen. 80 Prozent unserer Touristen sind Mexikaner. Die sind in der gleichen Situation wie meine Angestellten.
Wie viele Fälle gibt es überhaupt in Mexiko? Wie viele in Chiapas.
Die mexikanischen Behörden sind sehr phantasievoll, wenn es darum geht, Zahlen zu produzieren. Es gibt viel zu wenige Tests, um verlässliche Angaben zu machen. Die offiziellen Zahlen sind sicher zu niedrig. Jedenfalls ist der Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht. Ich schätze, dass man in etwa zwei oder drei Wochen ungefähr sieht, wie es weitergeht.
Wie lange könnt Ihr durchhalten?
Nicht unendlich. Mehr als zwei, drei Monate sind es nicht. Dann muss ich alle Geschäfte schließen.
Weiss die Belegschaft das?
Die Leute sind nicht dumm, die merken das auch. Als ich sagte, dass ich die Löhne halbiere, waren alle sofort einverstanden. Keiner der Betroffenen hat auf einer gesetzlichen Abfindung beharrt.
Wie kommt Ihr persönlich zu Rande?
Um uns mache ich mir keine allzu grossen Sorgen. Wir wohnen am Stadtrand, wir haben einen grossen Garten, ich habe aus meiner früheren Tätigkeit eine kleine Rente aus Deutschland und aus der Schweiz.
Und die Töchter?
Die ältere lebt in Kalifornien, ihr Mann ist in der Ölindustrie und arbeitet im Home-Office, zum halben Lohn. Die jüngere musste ihren Schmuckladen schliessen. Sie produziert jetzt mit einer Freundin Gesichtsmasken.
Könnt Ihr einkaufen?
Anfang gab es etwas Panik, kein WC-Papier mehr und dergleichen. Aber jetzt ist das normalisiert. Die grossen Geschäfte und die Shopping Malls haben geschlossen, aber in den kleineren Läden kriegst Du alles. Ausser Alkohol.
Hamsterkäufe?
Nein. Ein Verbot. Irgendjemand hat den Alkoholverkauf in Chiapas verboten. Wahrscheinlich, um zu verhindern, dass Gewalt ausbricht, wenn Leute sich betrinken.
Was tut die Regierung?
Die Strände sind zu, da patrouilliert das Militär. Wir erhalten jeden Tag Ermahnungen, daheim zu bleiben, nicht auszugehen. Es gibt noch keine Ausgehverbote, aber man redet darüber. Die Regierung behandelt das alles ziemlich lau. Die Bevölkerung und die Unternehmen haben viel schneller reagiert als die Behörden, um sich auf die Pandemie vorzubereiten.
In Europa haben die Regierungen gigantische Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft aufgegleist. In der Schweiz gibt es Überbrückungsgeld für Unternehmen und Selbständigerwerbende. Bei Euch nicht?
Die Regierung gebärdet sich sozial, sie will den Armen helfen. Aber die privaten Firmen gelten als die Bösen. Sie werden alleine gelassen, und wenn sie hops gehen, zuckt die Regierung mit den Schultern – halt Pech gehabt. Das ist ein gefährliches Spiel. Die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen werden nachhaltig und katastrophal sein.
Was meinst Du mit sozialen Konsequenzen?
Armut, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, Überfälle, Diebstähle. Das wird zunehmen.
Wenn wir “Mexiko” hören, denken wir eh an fürchterliche Kriminalität und Drogenbandenkriege.
Mexiko ist ein riesiges Land. Dieses Problem besteht vor allem im Norden des Landes. Bei uns im Süden des Landes ist es nicht so bedeutend. Hier mache ich mir mehr Sorgen um die steigende Kleinkriminalität von Leuten, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen.
Wie steht es um das Gesundheitssystem? Ist die medizinische Versorgung gewährleistet?
Das ist jetzt schon am Anschlag. Noch nicht wie in Italien oder Spanien. Aber man beginnt, Kongresszentren zu Notspitälern umzufunktionieren. Wenn zehn Prozent der Infizierten oder mehr im Spital landen, ist das System vollkommen überlastet. Dann wird es heissen, ab Alter so und so wird nicht mehr behandelt.
Du bist 68 – bist Du sicher, dass Ihr gut versorgt seid, wenn Ihr ernstlich krank werdet?
Ja – ich weiss nicht. Wir versuchen, uns so wenig wie möglich dem Risiko auszusetzen. Wir sind statistisch gesehen in der Altersrisikogruppe, aber zum Glück ohne andere Risikofaktoren. Ich möchte gerne denken, dass uns nichts Grosses passiert, wenn es uns treffen sollte.
Denkt Ihr daran, in die Schweiz zu gehen, wenn die Lage schlimmer wird?
Nein. Wahrscheinlich sind wir hier trotz allem besser aufgehoben.
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