Katharina Jost (71) aus Kernenried lebt in Lunenburg/Nova Scotia (Kanada) und hat bis vor kurzem mit ihrem Mann die second paradise Feriensiedlung betrieben. Sie ist die Cousine meines verstorbenen Vaters. Katharina wurde in Portugal vom Virus überrascht. Sie erzählt vom Druck, die Ferien abzubrechen. Und vom Ekel der grossen Lachszucht im Atlantik. Wir sprachen vor dem grossen Serienmord von Anfang Woche in Nova Scotia.

 

Hallo Kathrin, Du in Bern?

Unsere Ferienpläne sind etwas durcheinandergeraten. Wir waren in Portugal zu Wanderferien entlang der portugiesisch-spanischen Grenze, Ralph wäre bis April geblieben, und ich wollte dann noch per Bahn einen Abstecher in die Schweiz machen, dann zurück nach Kanada. Eigentlich hatten wir es in Portugal gut, wir waren sicher ebenso “selbstisoliert” wie anderswo. Aber dann kam Druck, von überall. Ich habe noch nie so etwas erlebt.

 

Druck?

Zuerst ging die Grenze nach Spanien zu. Dann die portugiesische. Dann hat Kanada seine Bürger zurückgerufen. Dann haben wir festgestellt, dass unsere deutsche Reiseversicherung drei Wochen nach einem Rückruf keine Krankheitskosten mehr bezahlt. Wir haben gelernt, dass in einem solchen Fall alle Reiseversicherungen die Leistung verweigern können. Das war schon etwas schockierend. Und von allen Seiten kamen Anrufe, “kommt heim, kommt heim”. Irgendwann wird der Druck dann so stark, dass Du halt nachgibst.

 

Dann seid Ihr in die Schweiz gereist?

Ralphs Flug war gestrichen, er musste nehmen, was es an erschwinglichen Flügen gab. Er ist bereits zuhause. Ich flog am 21. März in die Schweiz. Es war gespenstisch. Der Lissaboner Flughafen war leer, der Swiss-Flieger nur zu einem Drittel besetzt. Die Swiss bietet ja auf den Europaflügen nicht gerade einen super Service, aber diesmal kamen sie x-mal mit Käseküchlein vorbei. Bei der Landung war es wie immer. Klick-klick-klick, die Gurte öffnen sich, sobald der Boden berührt ist, und alles steht auf und klaubt seine Sachen so rasch als möglich zusammen. Da kannst Du das “social distancing” vergessen. Die berühren Dich und husten Dich an, es war ein ganz ekliges Gefühl. In Zürich und Bern waren die Bahnhöfe menschenleer. Das fährt Dir wahnsinnig ein.

 

Wie ist die Lage in Kanada?

Ich war ja weg und kenne nur, was ich über CBC erfahre. Wir haben viel weniger Fälle als die USA. Nova Scotia mit 1 Million Einwohner hat nur etwa 400 Fälle. Die haben sehr früh alles zugemacht, niemanden mehr reingelassen, die Strände und Parks geschlossen. Die Bussen seien enorm, sagt Ralph. Die Regierung hat es so gut gemacht, dass die Opposition nichts mehr zu sagen wusste. Etwa die Hälfte der Kanadier wäffelt ja immer gegen Trudeau. Jetzt wäffeln sie wieder, was zeigt, dass es offenbar besser geht.

 

Halten sich die Kanadier an die Anordnungen?

In Kanada folgt man. So wie in der Schweiz. Man folgt sogar mehr als man muss. Da kommen die kleinen Polizisten hervor.

 

Was läuft bei Euch in Lunenburg?

Wir sind krisenerprobt. Wo  wir wohnen, ist schon lange Krise, die Region lebte vom Fischfang im Atlantik. Lunenburg, etwa 2000 Einwohner, hatte früher einmal 32 Restaurants. Als wir hinkamen in den neunziger Jahren waren es noch drei. Jetzt haben wir sechs, und 20 Kunstgalerien. Es kommen neue, andere Leute in die Gegend. Lunenburg ist zum UNESCO-Welterbe erklärt worden, die Dörfer putzen sich heraus. Das bringt etwas.

 

Ein Idyll. Du hast mir einen Bericht über eine grosse Fischfarm geschickt, die sich ansiedeln wollte und sich nun zurückgezogen hat.

Wir sind sehr froh. Die Provinzregierung hatte der norwegischen Firma Cermaq die Bewilligung gegeben, Standorte für open pen farming auszusuchen. Das sind riesige Netze im offenen Meer, in denen Lachse gemästet werden. Nun hat die Firma erklärt, dass sie nicht genügend geeignete Orte finde und an der Westküste weitermache. Die haben sich nicht einfach zurückgezogen, die haben auf den Druck der Bevölkerung reagiert. Es heisst, dass drei Viertel der betroffenen Bevölkerung sich in irgendeiner Form gegen Cermaq engagierten. Wir auch. In unserem Dorf, 900 Einwohner, nahmen 350 Personen an den Informationsveranstaltungen teil. Wir haben Briefe geschrieben, ich den Mitgliedern des Parlaments, dem Leader of the Opposition, dem Regierungschef der Provinz, dem Premierminister, den Fischereiministern, an Cermaq selbst. Wir haben uns schon immer engagiert, aber für unsre Nachbarn und ganz viele andere war es ein totales Novum, sich zu wehren. Protestieren gehört nicht wirklich zur kanadischen Kultur. Der Erfolg ermutigt uns, weiterzumachen. Denn nun hat die Westküste das Problem.

 

Gratuliere. Es tut gut zu wissen, dass der Widerstandswille der Aeschlimanns lodert. Aber was ist so schlimm an Fischfarmen?

Es ist genau gleich grausig wie die Massenhaltung von Schweinen oder Rindern. Wir wissen, was es ist, weil wir bereits open pen farming haben. Die Lachse werden auf engstem Raum gemästet, geimpft, mit Antibiotika und Pestiziden behandelt. Ihre Ausscheidungen verschmutzen das Meer. Wenn sie “geerntet” werden, wie man nun sagt, können sie sich kaum noch bewegen. Dann werden sie abgesaugt, nach New Brunswick transportiert, verarbeitet und als “Wild Atlantic Salmon” in schönem Rosarot verkauft.

 

Ich dachte immer “wild” heisse wild gefangen und nicht von der Farm.

Du musst das ganz klein Gedruckte lesen. Jetzt heisst es auch “Heritage Salmon”.

 

Aber es gibt doch auch wilde Lachse bei Euch?
Ja. Aber sicher nicht so viele wie als “Wild Atlantic Salmon” verkauft werden. Wo ”open pen farming” betrieben wird, sterben die wilden Lachse auch. Sie werden mit Fischläusen angesteckt,. sea lice sagt man bei uns. Die Lachse im Mastnetz sind auch befallen, aber sie werden mit Pestizid behandelt und leben nicht lange genug, um an den Schädlingen zu sterben.