Rita Keusen (60) ist Leiterin des Schulzentrums Elzmatte in Langenthal (1. bis 9. Klasse, 280 Schüler). Sie sagt, die Coronakrise sei ein gutes Übungsfeld für die Umstellung auf neue Informatik – aber hart für alle Beteiligten.

 

Hallo Rita, bist Du daheim?

Nein, im Büro.

 

Du musst kein “home office” machen?

Ich habe ein Büro allein für mich, fahre mit dem Velo hin, da komme ich mit niemandem in Kontakt. Ich habe zweimal einen halben Tag daheim gearbeitet, um zu sehen, wie es ist.

 

Und die Lehrer?

Nicht alle arbeiten daheim. Wir haben grosszügige Räume, und es ist kein Problem, die Vorschriften einzuhalten. Nur vor dem Kopierer gibt es dieser Tage ein bisschen Gedränge. Alle sind am Vorbereiten für Montag, wenn die Schule wieder losgeht. Jetzt haben wir ja Frühlingsferien.

 

Aber der Unterricht findet zuhause statt. Was sind die Erfahrungen?

Gemischt. Die Schulen in Langenthal haben von Anfang an eine temporäre Website eingerichtet, wo für jede Klasse wochenweise Aufträge aufgeschaltet werden, auch Dokumente und Anleitungen. Alle Lehrer haben die Pflicht, einmal pro Woche bei jedem Schüler zuhause anzurufen, um zu kontrollieren, ob die Aufträge erledigt werden können und um eine Rückmeldung der Eltern zu erhalten. Jedes Mal, wenn eine neue Information herausgeht, wird dies auch auf WhatsApp gemeldet. Die meisten sind an einem Klassen-Chat angeschlossen. Es gibt auch Online-Aufgaben. Aber viele Kinder sind daheim nicht so gut mit Computern und Internetzugang ausgerüstet.

 

Wie erreicht Ihr solche Kinder?

Die Lehrerinnen und Lehrer sind sehr kreativ. Sie schicken die Aufgaben per Post oder lassen sie im Schulhaus abholen. Einige bringen die Aufträge auch nach Hause. Es hat fast überall geklappt.

 

Welche Rückmeldungen erhaltet Ihr von den Eltern?

Alles, von “super” bis “ganz schlimm”. Das hängt vom sozialen Hintergrund, von den Gewohnheiten und von der Familiensituation ab. Wenn zwei Eltern im home office und die Kinder sich einen Computer teilen müssen, kann das sehr viel Konfliktstoff enthalten. Es gibt Eltern, die sagen uns, es sei toll, wie wir es machen. Andere haben zum Teil mit Kritik so lange gewartet, bis es sie verjagte.

 

Du meinst häusliche Gewalt?

Häusliche Gewalt habe ich nicht mitbekommen. Aber sehr scharfe Kritik. Wir mussten auch lernen. Am Anfang haben wir zu viel Material verteilt.

 

Wo Deutsch nicht die Muttersprache ist, haben Kinder es schwerer, in der Schule mitzuhalten. Ich nehme an, die Differenz wird jetzt noch verschärft.

Für solche Kinder ist es wirklich schwierig. Ich weiss, dass Lehrer individuell mit ihnen telefonieren und wo möglich auch per Video arbeiten. Ich habe die Möglichkeit, online zu kontrollieren, wer was tut, und in meiner Klasse stellte ich fest, dass drei Schüler nichts machten. Sie mussten in die Schule kommen, dann erklärten wir ihnen die Aufträge am Computer. Das war bereits in den Ferien. Jetzt haben sie die Aufträge erledigt.

 

Gibt es Hilfe für zusätzliche Betreuung?

Die Kirchen, die Erziehungsberatung und die Kinder- und Jugendfachstelle bieten Hilfe an. Wenn es nicht mehr geht, können Eltern sich dort melden. Unsere Schule hat auch ein Betreuungsangebot für Kinder, wo die Betreuung – beispielsweise durch die Grosseltern – ausfällt. Im Anfang hat das unser Lehrpersonal übernommen. Wir sind da sehr flexibel. Die Kinder werden den ganzen Tag betreut, am Morgen gibt es zwei Stunden Arbeit an den Schulaufträgen, dann geht es in den Wald oder zum Basteln. Mittagessen ist in der Tagesschule, am Nachmittag geht es bis 17 Uhr weiter. Dieses Angebot ist gratis.

 

Wie viele Kinder werden so betreut?

Im Moment sind es 9. Am Anfang waren alle zusammen, als die Beschränkung auf 5 pro Gruppe kam, machten wir zwei Gruppen.

 

Und die Lehrer machen das freiwillig?

 

Ich musste niemanden suchen. Einige Lehrer haben weniger zu tun als andere. Seit den Ferien führt die Tagesschule das Angebot weiter.

 

Sind die Resultate dieser Heimschularbeiten aussagekräftig? Die können doch alles im Internet abgucken oder Vater und Mutter arbeiten lassen?

Ich habe das Gefühl, bei vielen helfen die Eltern gewaltig nach. Aber das ist ja auch schön, wenn Eltern und Kinder etwas gemeinsam machen.

 

Fängt es Eltern oder Kindern langsam an zu stinken?

Ich habe die Lehrer gefragt. Es gibt Kinder, die sagen, sie wollten wieder in die Schule.

 

Das muss selten sein

Es kam vor, etwa wenn die ganzen Frühlingsferien verregnet waren.

 

Wie geht es bei Euch weiter?

Nächste Woche haben wir sicher noch Fernunterricht. Dann richten wir uns nach den Bundesratsentscheiden.

 

Ist die Vorbereitung für das Lehrpersonal schwieriger?

Es kommt drauf an. Man ist viel mehr am Telefon. Meine Kollegin und ich haben heute Morgen die Unterlagen zum Deutschunterricht in der nächsten Woche für meine Klasse geplant. Es war wirklich schwierig, schriftlich zu formulieren, was Du sonst mündlich erklärst. Wenn wir bereits ausgerüstet wären, würden wir es per Video machen. Nun ist vorstellbar, dass wir die Kinder in kleinen Gruppen einbestellen, eine Einführung geben und sie dann wieder zuhause arbeiten lassen.

 

Wie gross wären solche Gruppen?

3-4 Kinder. Wir machen Einlasskontrolle wie bei der Migros.

 

Wird vom Online-Unterricht etwas bleiben?

Und wie. In Langenthal war die Umstellung der gesamten Informatik im Schulwesen auf den Sommer geplant. Die Stimmbürger haben dafür viel Geld gesprochen. Jetzt wurde die Installation vorgezogen. Vor den Frühlingsferien haben wir wie verrückt gearbeitet. Die rasche Umstellung war hat, ein paar haben geächzt. Ich habe auch ein paarmal geflucht. Aber die Corona-Krise ist für uns Lehrkräfte ein sehr gutes Übungsfeld.

 

Und nun könnt ihr voll digital weitermachen?

Eben nicht. Das Problem ist, dass die Kinder die IPads und Laptops nicht haben. Ich weiss nicht einmal, ob sie im Sommer eintreffen. Das kommt aus China, es gibt Lieferengpässe. Am Montag starten wir auf Papier.