Urs Loosli (70) ist Japanologe in Zürich (www.loos.li). Er geht nur noch ins Büro, um die Post zu holen.

Hallo Urs, wie läuft es in downtown Switzerland?

Wir wohnen ausserhalb, in Männedorf. Ich gehe kaum mehr in die Stadt. Nur kurz ins Büro, um die Post zu holen.

 

Und Tamami?

Sie ist Software-Entwicklerin und arbeitet eh von zuhause aus. Für sie hat sich nicht viel geändert – ausser dass sie am Mittag ein zweites Dessert kriegt.

 

Wie das?

Weil ich einkaufen gehe.

 

Du gehst einkaufen? Du gehörst altersmässig zur Risikogruppe, wie ich auch.

Ja, schon, aber ich bin vorsichtig. Halte den Abstand und schaue, dass nicht viele Leute im Laden sind.

 

Und Eure Wohnung im Tessin?

Die ist leer. Wir waren seit vier Wochen nicht mehr dort. Wir haben gesehen, was in Italien ablief und konnten uns ausrechnen, was auf das Tessin zukommt. Wir dürften hingehen, es ist nicht formell verboten, und wir könnten uns dort in der Wohnung still halten – aber was ist der Punkt?

 

Wie ist es in Männedorf? Gehst Du an den Zürichsee?

Nein. In Zürich ist das Seeufer abgesperrt, wegen des zu grossen Andrangs. Ob sie in Männedorf auch gesperrt haben, weiss ich nicht, ich gehe nicht hinunter. Wir haben Seeblick, das reicht. Ich gehe eher nach oben, Richtung Pfannenstiel. Da kann man schön wandern.

 

Das ist in der Nähe von Blocher, nicht? Der hat sich scheint’s im Keller eingebunkert.

Ja, schon.

 

Dort oben wohnten doch auch die Willes – die Wille-von Bismarcks aus dem Ersten Weltkrieg, nicht? Feldmeilen heisst das,  glaube ich. Meienberg hat es beschrieben.

Ja. Aber es gefällt nicht nur den Rechten in diesen Hügeln. Der SP-Bundesrat Willi Spühler..

 

…der “Lord von Aussersihl”…

..der. Als er Bundespräsident war, hat er das Kollegium auf der Bundesratsreise nicht nach Zürich-Aussersihl geführt, sondern auf den “Gibisnüt” bei uns in Männedorf. Ein schöner Aussichtspunkt.

 

Wie geht es Eurer Familie in Japan?

Es sind alle wohlauf. Japan hatte ganz am Anfang die Affäre mit dem Kreuzfahrtschiff, dessen Passagiere nicht an Land gehen durften. Dann schien die Lage sich zu beruhigen, aber heute habe ich am Fernsehen gesehen, dass die Fälle stark ansteigen.

 

Und Du selbst, wie geht es Dir?

Es ist mir noch nie so schmerzlich bewusst geworden, wie alt ich bin. Ich höre beständig “über 65” Meine erste Reaktion ist “diese alten Leute”. Die zweite, “das bin ja ich”. Normalerweise ist man dann auf eine nette Bemerkung gefasst, “dieses Alter hätte ich Ihnen nicht gegeben” oder so. Man ist ja gut beieinander. Aber jetzt ist es umgekehrt. Du wirst scheel angeschaut, wenn Du unter die Leute gehst.

 

Du sagst es. Gestern hatte ich so ein Erlebnis beim Jogging. Ich rochelte den Rappenkopf hinauf, als ich hinter mir ein Keuchen hörte, aus tiefer Kehle. Ich schaute mich um und sah ein Pferd mit Reiterin, das mich langsam einholte. Als sie auf gleicher Höhe waren, versuchte ich der Peinlichkeit eine heitere Note geben und sagte “Der hat halt vier Beine und ich nur zwei”. Sagt die Reiterin:“er ist alt und mag nicht mehr”. Sage ich: “und ich erst”. Sagt sie: “Es ist doch schön, wenn die alten Leute noch etwas tun”. Hätte ich eine Steinschleuder gehabt, hätte ich dem Gaul einen an die Hinterbacke gepfeffert.

Ich lasse mich treiben. Wie eine Klette, die sich irgendwo anklammert und sich fallen lässt, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.

 

Auf diese Gelegenheiten kannst Du jetzt lange warten. Schade, dass wir uns nicht einmal sehen können.

Wir können es ja machen wie der brave Soldat Schwejk, der mit seinem Freund Woditschka “nach dem Krieg um 6” in der Kneipe abgemacht hat.

 

6 ist zu spät. Aber am ersten Tag nach der Aufhebung der “Massnahmen” auf dem Wuhrplatz. Bier und etwas zu essen können wir im Coop holen, falls die Kneipen noch nicht offen sind.

Abgemacht.