Liseli Friedli-Aeschlimann lebt im Altersheim in Burgdorf. Nächsten Monat wird sie 103. Sie schreibt Tagebuch und liest jeden Tag die Zeitung. Sie ist unsere Grosstante.

 

 

Grüssdich, Tante Liseli. Was steht an?

Ich kriege nächstens Geranien, für den Balkon.

 

Ich sitze in Lotzwil fest, meine Frau ist in New York. Ich mache mir Sorgen. Und ich möchte sie gerne wieder einmal sehen.

 

Ich bin schon lange allein. Allein und doch nicht einsam. Vorhin ist gerade Toni gegangen. Er und Elisabeth kommen zum Bord gegenüber von meinem Balkon. Dann können  wir uns sehen und telefonieren miteinander. Besuchen dürfen sie mich nicht. Nur die Wäsche holen und abgeben unten bei der Wäschestation.

 

Ich telefoniere viel mit Familie, Freunden, Bekannten. Dann schreibe ich auf, was sie Interessantes zu sagen haben und lege es auf meinen Blog. Ich möchte das mit Dir auch machen. Einverstanden?

Ja. Ich schreibe auch. Tagebuch.

 

Was schreibst Du denn?

Was ich lese. Was am Tag läuft. Ich lese jeden Tag die Berner Zeitung. Ich habe noch die Illustrierte, aber die sagt mir weniger.

 

Kannst Du hinaus?

Sie holen die Leute hinunter, in den Garten. Mich auch. Aber nicht alle auf einen Haufen. In den Garten kann jeder, aber aus dem Gebäude hinaus nicht.

 

Wo gibt es zu essen?

Im Esssaal.

 

Da hast Du es besser als meine Schwiegermutter in Amerika. Die ist auch im Altersheim und muss allein im Zimmer essen.

Bei uns sind nur zwei am Tisch anstatt vier wie normalerweise. Ich sitze gegenüber einer Frau. Am Tisch nebenan sind zwei Männer.

 

 

Gibt es ein bisschen Unterhaltung? Kannst Du Dich mit anderen unterhalten?

Heute Nachmittag kam wieder eine Ländlermusik in den Garten. Mit manchen Leuten im Heim kann man nicht mehr so gut sprechen. Ich kann halt noch lesen. I chume haut no druus. Ich lese mit der Lupe. Nicht mehr lange und nicht mehr viel, aber immerhin.

 

Wir haben jetzt Corona-Krise. Als Du ein kleines Kind warst, hatten sie die Spanische Grippe.

Da habe ich natürlich nichts selbst erlebt. 1918 war ich erst ein Jahr alt. Aber mein Bruder Fritz, Dein Grossvater, hatte die Grippe, bös. Er musste zur Kur nach Beatenberg.

 

In seinem Lebenslauf schreibt er darüber. Er musste wegen des Generalstreiks am Kriegsende in den “Ordnungsdienst” einrücken und erkrankte an der Grippe. Er war 29 Tage in einem “Notspital” in Bern und anschliessend über einen Monat zur Kur. “Noch eine Zeitlang” habe er “Herzschwächeanfälle” gehabt.

Aber er hat gearbeitet. Er hat doch nach dem Krieg das Denkmal auf der Lueg gebaut.

 

Meine Mutter sagt, ihr Grossvater sei auch an jener Spanischen Grippe gestorben, aber man habe daheim nie darüber geredet. War das bei Euch auch so?

Nein, ich habe alles mitbekommen. Meine Mutter hat uns oft davon erzählt. Wegen Fritz und wegen ihrem Bruder. Der hatte in Bern an der Aarbergergasse ein Restaurant geführt und starb auch an der Spanischen Grippe. Er hinterliess eine Frau, Anna, und vier Kinder. Das jüngste war 4, das älteste 13. Die kamen viel zu uns ins Rämihaus.

 

Deine Schwester Martha wurde 100, Du wirst bald 103. Gibt es eigentlich noch andere in der Familie, die so alt wurden?


Es wurden nicht alle alt. Aber das Annebäbi in der Hohlgasse in Affoltern wurde fast 105. Das war die Schwester meiner Mutter.

 

Wie geht es Dir?

Gut. Ich kann halt einfach nicht gehen und bin im Rollstuhl, aber sonst gut.

 

Ist es wahr, dass Du erst spät Autofahren lerntest?

Ich war 60, als ich die Prüfung machte. Dann bin ich aber viel gefahren. Und nicht bloss zum Kommissionenmachen.

 

Ein bisschen ausgefahren, wie wir sagen?

Hauptsächlich Alpenpässe. Zweimal war ich in Frankreich, zweimal im Deutschen.

 

Was hattest Du für Autos?

Zuerst einen Opel. Dann einen Peugeot.

 

Welches Modell?

Den 404. Das ist kein ganz Kleiner.

 

Wie lange bist Du gefahren?

Bis 90. Ich hätte dann eine Prüfung machen sollen und dachte, das verstehst Du eh nicht mehr. Da habe ich das Billet abgegeben. Ich hatte danach so ein Elektrowägeli. Mit dem bin ich auch ausgefahren. Mit dene chunnsch fei e chli wyt. Ich fuhr bis Hindelbank oder Jegensdorf. Man muss sich etwas einfallen lassen.

 

Was sagst Du zu dieser Corona-Krise?

Wir hoffen auf das Ende der Massnahmen, den Ausstieg aus dem Notfall. Mir warte druf für uszschtige.