Rod Ackermann (76) ist eine Schweizer Sportjournalisten-Legende (Basler Zeitung, “Sport”, NZZ, Weltwoche). Er berichtete mehrere Jahrzehnte aus den USA, lebt heute in Frankreich und in der Schweiz und hat den lockdown in Paris erlebt.

 

 

Rod, eigentlich ist das nicht ein Corona-“call”, weil wir uns physisch treffen, in der Gartenwirtschaft.

In Langenthal.

 

Center of the universe. Danke, dass Du gekommen bist. Ich bin noch vorsichtig mit der Bahn.

 

70 Biere auf der Karte, alle Achtung. Ich war in den siebziger Jahren schon einmal in diesem Restaurant. Da war noch eine die Brauerei.

 

Ein Familienunternehmen, das aus den üblichen Familienbetriebsgründen eingegangen ist. Aber es gibt wieder Bier aus Langenthal. Das 49er zum Beispiel.

“Kaltgehopft”, steht  auf der Karte. Bei einem anderen lese ich “moussierendes Mundgefühl”.

 

Besser als moussierender Mundgeruch. Wer sagt, dass die Sprachkunst den Bach ab geht? Wie war die Reise in die Schweiz?

Problemlos. Ich musste in Frankreich die Reiseerlaubnis einholen, aber die hat am Ende niemanden interessiert. Im TGV war Maskenpflicht. An der Schweizer Grenze in Basel haben die Beamten nur gefragt, ob ich etwas zum Verzollen habe.

 

Merkst Du einen Unterschied zwischen Paris und der Schweiz?

In Paris trägt jeder Zweite eine Schutzmaske. Hier niemand. In Paris spüre ich auch, dass die Leute nun genug haben. Die haben uns ja über zwei Monate buchstäblich eingesperrt – anders als in der Schweiz.

 

Hier beruhte das meiste auf Freiwilligkeit.

Und wurde trotzdem mehr oder weniger eingehalten. Freiwilligkeit geht nur, wenn eine Regierung weiss, wie viel sie dem Volk zumuten darf, und wenn im Volk genügend Bürgersinn vorhanden ist. Ich schaute jeweils die Pressekonferenzen des Bundesrats an und fand sie im Vergleich zu französischen Präsidialauftritten ziemlich handgestrickt. Aber offensichtlich haben die Schweizer es nicht schlecht gemacht. Weisst Du, was mich am meisten beeindruckte?

 

Wohl kaum Eleganz und Geschliffenheit der sieben.

Die Zweisprachigkeit. Die Welschen können sich auf Deutsch sehr gut ausdrücken. Berset vor allem, aber auch Parmelin.

 

Weisst Du, was ich das Beste finde an den Corona-Effekten? Dass es mit der Dreifachbegrüssungsküsserei ein Ende hat.

Sehe ich gar nicht so. Menschen brauchen den physischen Kontakt. In Frankreich gehören Kuss und Umarmung dazu. La bise – haben wir immer gemacht.

 

Wir haben eine Differenz. Du bist ein Welscher. Ich ein toto.

Ein Toto? Also wir sagen den Alémaniques les bourbines.

 

Bin ich halt eine Bourbine. In der Schweiz ist übrigens nicht alles gut gelaufen. Eine Nachbarsfrau hat vor zwei Wochen die Grossmutter verloren. Sie erzählte mir, die Familie habe die alte Frau nicht besuchen dürfen, und sie habe dies nicht verstanden. Ich finde es unglaublich, dass man in solchen Fällen nicht eine Ausnahme machte.

Der Jurist in mir sagt “Freiheitsberaubung”. Es ist unmenschlich.

 

 Es wäre Grund zum Protest. Aber ich würde nie protestieren, weil ich mich weder mit den Weltwöchnern noch mit den Esoterikern ins Boot setzen will. Sag mal – vermisst Du eigentlich den Journalismus? Es läuft ja nichts im Sport.

Überhaupt nicht. Ich sagte mir schon lange, dass ich langsam aufhören wolle, und nun kommt es halt auf diese Weise. Ich habe in diesem Monat nur zwei Artikel für die NZZ geschrieben, beides Reminiszenzen. Im vergangenen Jahr waren es sechzehn. Du musst etwas Neues finden, das neben den Beruf treten kann.

 

Was hast Du gefunden?

Die Familie meiner Frau hat ein Haus und ein Strandhäuschen in der Bretagne, da gibt es immer etwas zu tun. Etwas flicken zum Beispiel. Oder der Garten. Aber während des lockdown konnte ich nicht dorthin.

 

Ich muss in meiner Selbstisolation auch gartnen. Ich mache es nicht gerne.

Du hast wohl keinen grünen Daumen, wie ich auch. Ich pflanze nicht. Aber wenn ich sehe, das seine Hecke geschnitten werden muss, schneide ich sie eben.

 

Kann Deine Frau arbeiten? Sie schreibt ja auch über Sportarten, die nicht stattfinden.

L’Equipe Magazine hat im März zugemacht. Die Belegschaft wurde angehalten, alle Frei- und Ferientage zu nehmen, und es gab Arbeitslosenentschädigung. Am vergangenen Wochenende sind sie zum ersten Mal wieder erschienen. Aber wie lange der Betrieb aufrechterhalten werden kann, ist eine grosse Frage. Die Tour de France fällt aus, Wimbledon ist gestrichen, Roland Garros ist fraglich, die Champions League ist weg, etcetera. Ich rechne damit, dass es zu Entlassungen und Schliessungen kommt. Und am 1. Juni laufen die Entschädigungen für Arbeitsausfälle in Frankreich aus. Für jene, die nicht arbeiten können, kommt dann kein Geld mehr hinein. Da braut sich etwas zusammen.

 

Proteste?

Die Gesundheitskrise geht dem Ende zu, irgendwann kommt eine Impfung, dann ist die Gefahr vorbei. Aber wir stehen am Anfang einer ökonomischen Krise wie in den dreissiger Jahren oder schlimmer, und auch einer gesellschaftlichen. Ich sage Dir, es kann eine revolutionäre Situation werden. In Frankreich ist die Revolution immer ein wenig näher als in der Schweiz.

 

Und die Erhebung kommt von rechts, das sieht man hier auch.

Die gilets jaunes sind nicht weg. Die kommen wieder. Das kann ganz unangenehm enden.