Simone Eymann-Pasquini (37) war bis Anfang März election officer und zuständig für Kommunikation an der Schweizer UNO-Mission in New York. Ihr Mann nahm eine neue Stelle in Paris an, wo sie mitten im Umzug vom Corona-Virus überrascht wurden. Sie warten das Weitere in Marseille ab.
Simone, das letzte Mal haben wir uns bei Deinem Abschied in New York gesehen, Ende Februar. Da sagtest Du, Dein Mann werde wahrscheinlich zu den Olympischen Spielen in Tokio reisen können – wenn diese nicht wegen des Virus abgesagt würden. Ich dachte, Du sähest Gespenster.
Ich hatte so eine Ahnung. Aber es ist schon sehr eigenartig. Du verlässt New York und wenn Du in Frankreich ankommst, ist auf einmal die ganze Welt anders.
Seid Ihr wohlauf?
Die ganze Familie ist ok. Im März habe ich wegen meines Vaters schlecht geschlafen. Er ist Arzt und meldete sich in Basel zum Dienst in einem Corona-Center. Nach drei Wochen teilten sie ihm mit, er dürfe wegen seines Alters- er ist über 70 – nicht mehr dort arbeiten.
Wo seid Ihr?
In Marseille. Meine Schwiegereltern haben uns ihre Wohnung überlassen. Es hat einen grossen Park, wunderschön. Alle haben dort ihre Gemüsegärten. Ich auch. Im Vergleich mit anderen haben wir es sehr gut. Französischer Käse, französischer Wein. Es lässt sich leben. Jeden Abend um 20 Uhr klatschen wir fürs medizinische Personal und dazu tanzen die Fledermäuse. Grotesk! Ich schick Dir ein WhatsApp Video.
In Genf machen sie das um 19 Uhr, ob auch mit Flederm. Ein ziemlicher Sprung, von der wirbligen UNO-Wahlkämpferin zur Gärtnerin. Gut gelandet?
Plötzlich bist Du den ganzen Tag eng mit den Kindern zusammen, darauf haben die Kinder am Anfang schlecht reagiert. Dann las ich in der New York Times, man solle es den Kindern nicht verübeln, wenn sie auf eine ausserordentliche Situation angemessen reagieren.
Wie reagieren die Kinder?
Marnie weiss jetzt, was Gras ist. Als Kleinkind in Brooklyn lernst Du das nicht kennen. Zu Beginn sass sie einfach da, wenn wir in den Park gingen. Jetzt rennt sie auf der Wiese umher und reisst mir die Bohnen aus den Hülsen. Raphael findet es gar nicht so lässig, hinauszugehen. Er spielt lieber daheim in der Wohnung.
Du sagtest mir in New York, er habe sich schwer getan, als das Feuerwehrauto gepackt werden musste. Du zeigtest ihm dann ein Bild eines Containers. Das sei der Container, der das Auto übers Meer bringe.
Er spricht jeden Tag davon. Ich versuche ihm zu erklären, dass der Container angekommen sei – was stimmt – und das Auto vier Tage nach dem Bezug einer neuen Wohnung ausgeliefert werde. Aber erkläre einem Vierjährigen, was “vier Tage nach dem Bezug” bedeutet.
Dürft Ihr raus?
Nur mit Passierschein, zum Einkaufen. Am Anfang musste man das Formular ausdrucken, erst später kam die App mit der elektronischen Registration – eigentlich unglaublich im 21. Jahrhundert. Die Polizei kontrolliert. Es ist viel restriktiver als in der Schweiz oder in New York. Die Franzosen sind halt Sturköpfe. Die sagen eher “betrifft mich nicht” als freiwillig mitzumachen. Das hat sich nun geändert. Auch mit Passierschein dürfen wir uns nur in einem Radius von 100 km bewegen. Am 21. Mai wird die Beschränkung gelockert. Man merkt, dass die Leute besser drauf sind. Am Montag sind die Geschäfte wieder offen.
Trägt man Maske?
Fast alle tun es. Anscheinend gibt es sie nun in der Apotheke zu kaufen.. Ich bin die einzige, die keine Maske trägt und muss mir nun eine besorgen oder nähen.
Wirst Du deswegen angepöbelt?
Nein. Spannungen gab es nur an der Kasse am Carrefour. Wenn die Leute nach einer Stunde Warten drankamen, waren sie zum Teil schon sehr aggressiv.
Konnte Dein Mann seine neue Stelle antreten?
Ja. Er arbeitet von hier aus, online. Man macht jetzt alles Mögliche per Zoom. Heute Morgen hatten wir eine KITA-Babystunde auf Zoom. Marnie war mit zwei Jahren eine der ältesten. Die haben sich einfach eine Stunde am Bildschirm angeguckt.
Könnt Ihr überhaupt eine Wohnung suchen?
Wir können nicht nach Paris. Es ist eigenartig: Online werden Wohnungen angeboten, und es gehen Wohnungen weg. Ich weiss nicht, ob die Leute sie ungeschaut anmieten, oder ob man bei Nacht und Nebel Besichtigungen durchführt.
Hast Du viel Kontakt mit New York
Wir skypen. Die Freunde an der UNO sagen, dass frühestens im Herbst mit der Rückkehr zur Normalität zu rechnen ist. Ich höre, dass einige Gremien online besser arbeiten, weil das stundenlange Gedöns um Kleinigkeiten am Computer viel schwieriger ist. Das ACABQ zum Beispiel. Die Umstellung auf Grossraumbüros und Hotdesks, die viel Verhandlungszeit und Energie verschlungen hat, ist jetzt wohl nicht mehr zeitgemäss.
Kennst Du Opfer?
Ja. Ich skype mit den Angestellten in der KITA, die unsere Kinder betreute. Drei von ihnen haben enge Verwandte verloren, zum Teil Eltern. Es trifft die Unterschichten, in Harlem, in der Bronx, Brooklyn, in Queens. Ich frage mich, was geschieht, wenn im Herbst ein Hurrikan auf New York treffen sollte. Wir wohnten in einer Überflutungszone und hätten im Notfall einen Schutzraum aufsuchen müssen. Da ist es eng.
Du suchst auch neue Arbeit. Wie geht das unter Deinen Bedingungen in Marseille?
Ich bewerbe mich. Aber es gibt Pannen. Zum Beispiel, wenn Raphael während eines Video-Interviews plötzlich ins Zimmer stürmt. Es ist auch nicht einfach, den ganzen Tag über mit Schlümpfen zu spielen und Asterix vorzulesen und am Abend den online-Test für eine neue Stelle zu machen. Wir lesen Les Schtroumpfs Noirs wo die Schlümpfe von einer Art Mücke gestochen werden und schwarz werden – auch eine Virusgeschichte. Wusstest Du übrigens, dass es in “Astérix en Transitalique” den Bösewicht “Coronavirus” gibt – geschrieben 2017?
Wahnsinn. Wusste ich nicht. Ich drücke Dir die Daumen und hoffe, dass die Richter bei den “Human Resources” Verständnis für Deinen day job aufbringen.