Die Quarantäne ist vorbei, Leben A hat begonnen. Über das Wochenende bei Hans und Jill, zuerst in Sebring, dann in Davie bei Fort Lauderdale. Jill ist ein scharfzüngiges Floridagewächs, politisch gegen alles Rote – also Anti-Trump (red ist in Amerika die republikanische Partei). Hans ein Schweizer mit Tellerwäscherkarriere in Amerika: Er begann mit zwanzig als Putzknecht auf den Kreuzfahrtschiffen, arbeitete sich zum Kellner hoch, entdeckte Ende der siebziger Jahre Computer und Elektronik (“ich las einen Artikel im TIME”), leistete sich eine Elektronikerschule in Miami, fand Arbeit, nachdem er die Einwanderungsprobleme mittels Heirat gelöst hatte, zog für eine Riesenfirma durch die Welt und machte sich mitte fünfzig selbständig. Er arbeitet mit einem Angestellten, Verkaufsstationen und Zubehör für Ladengeschäfte, Bars und Restaurants, derzeit wegen Corona reduziert, aber solide über Wasser. Jill betreibt in Sebring einen vaping-Laden, auch florierend, auch reduziert. Sie haben sechs Hunde und vier Häuser.
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Sebring. Mitten in der südlichen Hälfte Floridas, auf dem Weg endlose Orangenplantagen und viel Vieh. Florida ist nach Texas der grösste Produzent von beef in den Vereingten Staaten. DerOrt ist durch seine Autorennbahn weltweit bekannt (Chrysler Sebring), nur etwas mehr als hundert Jahre alt. In der Mitte ist ein Kreisel, die Häuser rundum sin dals historic district braun markiert – ein sicheres Signal, dass urbanes Geld eindringt und Wandel sich anbahnt. Politisch ist die Gegend tiefrot. Die Wahlkampfplakate in den Vorgärten sind einheitlich, aber nicht uniform. Trump-Pence kommt in zwei Variationen: Weiss auf blauem Grund und blau auf weissem. Diversity.
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Es hat mehrere Seen in der Gegend, der grösste ist Lake Jackson. Hans und Jill träumen davon, ein Restaurant am See zu kaufen und eine jetski-Vermietung aufzuziehen. Es fehle am Zeitvertrieb für die Jungen, sagen sie. Das Restaurant wäre zu haben, der Besitzer wolle es loshaben, bestätigt der Koch. Wie es dann mit ihm weitergehe, fragen wir auf der Terrasse, das noch unverbaute Ufer und die niedergehende Sonne im Hintergrund. Amazon, der Online-Grossverteiler, sagt der Mann. “15 Dollar die Stunde, mit Krankenkasse und Pension”. I put my forty in, go home and watch TV. Amazon soll in der Nähe ein weiteres Verteilzentrum öffnen.
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Das Haus von Hans und Jill liegt auch am Wasser, an einem kleineren See. Alligatoren? “Oh ja, gestern hat der Nachbar einen geschossen”. Wo es Wasser habe, seien Alligatoren, sagt Hans. Und Giftschlangen habe es überall, besonders vor den water mocassins unten am Ufer müsse man auf der Hut sein. Die seien aggressiv. Auch drüben in Davie, am Rande der Everglades, habe es Schlangen im Garten.
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Wie weiter? Trump kündigt ein rally in Florida an. Sanford, nördlich von Orlando. Das ist der nächste Stop. Der Caudillo nutzt seine Corona-Infektion nicht, um sich als Geläuterter zu präsentieren und so die abtrünnige gemässigte Rechte zu binden. Er facht den Konflikt um die Pandemie an: Dort die vorsichtige Linke, die mit allerlei Corona-Massnahmen die Wirtschaft abwürgt. Hier ich, Trump, der Herrscher, der die Krankheit übersteht und signalisiert: Es ist alles nicht so schlimm. Man steht das durch. Man überlebt. Man muss da durch. Trump folgt dem Rezept, mit dem politische Extreme in Krisensituationen Erfolg hatten: Keine Kompromisse eingehen, sondern Zuspitzen und Durchziehen.
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Eigenartig: Ich kenne nahezu keinen Schweizer, der Trump gut fände (ich lese die Weltwoche nicht). Aber ich kenne Dutzende von Leuten, die das Virus gleich sehen wie Trump. Paradox. Aber nicht paradoxer als die Umkehrung. Ich kenne knallharte Trumpisten in Amerika, die aus lauter Vorsicht vor dem Virus kaum aus dem Haus gehen und sich weigern, Besuche zu empfangen.