Okay, in den ersten Reihen stand ich nicht. Zweitens, weil die Tribüne und der Platz davor längst besetzt war, als ich im International Airport von Sanford in der Mitte Floridas eintraf, zwei Stunden vor Beginn. Erstens, weil ich coronamässig kein Idiot sein will und meiner Frau in die Hand versprochen hatte, keiner zu werden. Ich bin Risikogrüppler. Hier, auf einem grossen, offenen Platz zwischen den Hangars (Schriftzug: Million Air) stand dasVolk dicht an dicht, die Reihen fest geschlossen, die meisten ohne Maske. Von Sozialdistanz keine Spur – es war wie zu Stosszeiten im Bahnhof Bern vor dem Maskenmandat. Nur dass die Leute hier bereits mehrere Stunden in der prallen Sonne ausgeharrt hatten. Mourir pour Watson? Nitschewo, Kameraden. Ich hielt mich am hinteren Rand der Menge auf. Dort war Raum, die Distanznahme kein Problem. Das Rednerpult war zwar weit weg, aber als kleines Männlein war der Caudillo doch zu sehen. Zu hören sowieso. Die Lautsprechertürme hallten jedes Wort weit über die Gebäude hinaus. Als vor der Landung der Air Force One die Musik angeworfen wurde, wummte der Bass unten im Darm. CCR, Elton John, Andrea Bocelli und Céline Dion mussten hinhalten. Ob sie wissen, was mit ihren tunes angestellt wird? Ob sie dafür bezahlt werden? Die Rolling Stones und so viel ich weiss Neil Young hatten Trump untersagt, ihre Musik für seine Werbezwecke zu verwenden.
Die Ankunft war eine Antiklimax. Auf der Trump-Webseite musste man sich registrieren, doppelt. Seither kommen die Emails: Welcome to the team, we need you to do this (Eintrag auf der Liste als Trump Leader); guest instructions (Wegbeschrieb und Parkieren, masks will be provided – please wear them during the event). So bearbeitet, gewahrte ich massive Identitätskontrollen und Listenvergleiche. Nichts davon. Niemand fragte nach Namen oder Pass. Du stellst Dich in die Reihe, es folgen eine Fiebermessung und eine Radarkontrolle. Dann bist Du durch. Name und Telefon sind für die Werbung wichtig. Kaum war die Show beendet, blingte das nächste Mail: tonight was electric. Ob man nicht als Trump Victory Volunteer anheuern möchte?
War es electric? Für beinharte Trumpisten sicherlich. Keine Frage. Im Vergleich zu anderen campaign events war hier Energie in der Luft. Ich habe Obama gesehen und Bernie Sanders, beide stark im Entfachen des politischen Enthusiasmus, aber ihr Anhang kam nicht ansatzweise in die Nähe der Trumpmasse in Sanford. Sie nahm jedes Stichworte von Redner und VorrednerInnen lustvoll auf. Jedesmal Applaus für das Militär, das gerne und häufig erwähnt wurde (die heutigen USA sind in dieser Beziehung am ehesten mit dem Wilhelminischen Deutschland zu vergleichen). Four more years. Buh und Wäh, sobald der “Sozialismus”, auch der “demokratische” invoziert war. Erst recht Nancy Pelosi, die Chefin des Repräsentantenhauses: Sie spielt Hassmagnet, dieselbe Rolle wie Hillary Clinton 2016. Lock her up, lock her up. Haufenweise waren selbstgefertigte Trump-Paraphernalien – ein sicheres Zeichen für heisses politisches Engagement – zu sehen. Eine Frau hatte sich den Trumpkopf auf die Socken genäht. Ein Mann trug incorrigible deplorable auf seinem Hemd, eine Anspielung auf Clintons schändliche Herabsetzung seinesgleichen. Handgestickt von der Ehefrau. Bre Shoh aus Jacksonville verkaufte für 10 Dollar Gesichtsmasken mit dem Trump-Logo. Auf dem Umschlag stand made in China und this product is a fashion dust mask (non-medical masks). Nur an den Parteikonventen im Wahljahr ist eine ähnliche politische Stimmung zu spüren wie vor dem Flugplatzhangar in Sanford. Ein bisschen Cupfinal, ein bisschen Gurtenfestival, ein bisschen Chilbi. Ohne den Schwingern nahe treten zu wollen: Ich fühlte mich ähnlich wie vor einem Eidgenössischen Schwingfest. Minus die Spannung und minus die Herzlichkeit.
Jedenfalls war es anders als vorgestellt. Ich hatte eine politische Kult-Versammlung erwartet. Eifer und Geifer, ein Hetzefest. Scheeles Geäuge auf Maskenträger, misstrauische Blicke auf den, der nicht applaudiert, aggressives Gefrage. Doch es war nicht so, überhaupt nicht. Wir Maskenträger wurden in Ruhe gelassen. HelferInnen vertreilten am Eingang Masken und Handreinigungsmittel. Die grosse Mehrheit, es ist wahr, griff nicht zu und bewegte sich gesichtsfrei. Natürlich auch die Redner, Trump inklusive. Aber ich war überrascht, bei weitem nicht der einzige zu sein, der Maske trug. Wieviele wir waren, ist schwer zu schätzen. Vielleicht ein Fünftel, vielleicht weniger. Vielleicht mehr am hinteren Rand als vorne im Epizentrum der Masse.
Die Masse: Verglichen mit den lilywhite Republikanerkonventen vergangener Jahre war die Anhängerschaft in Sanford ein Monument an diversity. Natürlich waren die Weissen in grosser Überzahl, viele Familien mit Kindern darunter, viele ältere Semester, oft Ehepaare (die Ödnis der fifty-five-plus community in Florida braucht Abwechslung). Es gab zahlreiche Latinos. Man hörte Spanisch (Trumpito !). Ich sah mehrere Schwarze, auch gemischte Paare. Für die meisten Gäste war die empfohlene casual attire offensichtlich nicht eine Herausforderung, sondern Alltagskleidung. Auf den Parkplätzen, bis hunderte von Metern vom Hangar entfernt, dominierten Pickups und Mittelklasse. Cadillacs waren dort ebenso selten wie Herrenanzüge in der Arena.
Habe ich etwas übersehen? Möglich. Bin ich am Verharmlosen? Ich denke nicht. Ich beschreibe, was ich gesehen und gespürt habe. Ich sah eine grosse Menge Menschen unter sich, eher in festlicher als in aggressiver Stimmung, begeistert von ihrem Mann und angewidert von seinem Gegner. So ist Politik. Radikalisiert, gewiss. Aber nicht der Rand, sondern eher die “Mitte der Gesellschaft”. Aus dieser Mitte kann rechtsradikale Politik entstehen, ist in der Vergangenheit so entstanden. Wir wissen es. Man darf historische Parallelen ziehen – nicht nur, was die “Extreme” betrifft, sondern auch die jeweilige Normalität. Vielleicht wäre ein Blick auf die Erntedankfeste von Bückeburg im Deutschland der dreissiger Jahre zu werfen. Ich vermute, dass sie Anlässe des normalen Volks waren und nicht der extremen Minderheiten.
Ach ja, Donald Trump. Er flog dann ein, etwas vor sieben. Die Air Force One rollte die ganze Breite der Tribüne ab, wendete, rollte nahe an das Rednerpult, das der Caudillo ohne weitere Einführung bestieg. Gruss an my homestate of Florida (Trump hat sich neu in Florida als Wähler registriert und stimmt per Briefpost ab). Einstieg mit ein paar Riffs gegen seinen Gegner Joe Biden, der – die Hannity Show hatte es am Nachmittag schon breitgetreten – seinem Namen mit allerlei Versprechern alle Ehre machte. Biden hatte den Namen des Senators Romney vergessen und ihn this Mormon Senator genannt, hatte vom längst vermoderten Mao Zedong als dem chinesischen Führer geredet und einer Wahlversammlung eröffnet, er kandidiere für den den Senat). Sleepy Joe, untauglich. Trump mokiert sich süffisant, und im Publikum sagt ein junger Mann: he’s doing a comedy routine – awesome.
Es ist nicht richtig, dass Trump “heiser” war, wie die New York Times beobachtete. Alle Präsidentschaftskandidaten sind heiser. Er redete und redete über eine Stunde lang, und es ist ziemlich erstaunlich, dass ein 74jähriger das zwei Wochen nach einer Corona-Infektion so hinkriegt.
Was er gesagt hat? Seinen stump speech, wie es alle Präsidentschaftskandidaten machen. Das Standardmenu. Trumps Auftritt ist wie ein Rolling Stones Konzert: Die alten Hits, vorgetragen von einem alten Mann. Mein Gegner ist ein als Sozialist verkappter Kommunist, der Amerika in ein zweites Kuba oder Venezuela verwandeln will. Biden wird Euch die Alterskrankenkasse (Medicare) und die AHV (Social Security) wegnehmen. Sie wollen die Grenzen öffnen und Kriminelle ins Land lassen. Gott aus dem Fahneneid verbannen. Ein linksradikaler Mob zerstört unsere Städte. Die Lincoln-Denkmäler sind in Gefahr. Biden wird die Entwicklung eines Corona-Impstoffs verzögern, die Pandemie verlängern und die Wirtschaft ruinieren.
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Wir müssen dagegen halten. Die Schulen offenhalten und die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen. Wir sind daran. Die Börse ist im Hoch. Das letzte Quartal des Jahres wird toll sein, und das kommende Jahr wirtschaftlich das Beste je. Ich nominiere konservative Richter Wir müssen dagegen halten, jetzt. Sonst ist es zu spät. There is no comeback from where they take us.
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Four more years, four more years.
We love you, we love you.
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Angesichts der Corona-Zahlen und der jüngsten Entwicklung ist erstaunlich, wie viel Trump von der Pandemie redet. Zu erwarten wäre, dass er das Thema herunterspielt. Aber er pumpt es auf. Er sei es gewesen, der China und Europa von den USA abgeschnitten habe, no one acted faster as I did. Ein Impfstoff sei “bald” vorhanden, und er, Trump, werde die Wundermittel, die ihn so schnell geheilt hätten, für alle verfügbar machen, gratis. “Sie sagen, ich sei immun”. Und: “90 Prozent der Menschen, die es kriegen, sind ok, bei Kindern sind es sogar 99,9 Prozent”. Keine Vorschriften. Die Weltgesundheitsorganisation sage jetzt selber, die lockdowns seien mehr schädlich als nützlich (hier brauchen wir ausnahmsweise einen fact check: es ist nicht wahr. Ein WHO-Mensch hat lediglich gesagt, lockdowns sollten als letztes Mittel eingesetzt werden). Jeder solle machen wie er wolle, so vorsichtig sein, wie er möchte, es sei ihm egal.
Den grössten Applaus erhält Trump, als er – kein Scherz – erklärt : I am not a politician. Den zweitgrössten, als er über “die Medien” herzieht. Aber nach einer halben Stunde ziehen die ersten ab. Die Parkplätze sind weit, Stau ist zu erwarten. Vielleicht müssen die Kinder ins Bett.
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Was als Stones-Konzert begonnen hatte, ist nun eher mit einem Fussballspiel zu vergleichen, in welchem ein Favorit mit immer denselben Spielzügen einem Rückstand hinterherrennt. Trump liegt in nahezu allen Meinungsumfragen zurück. So deutlich, dass der altgediente Clinton-Wahlkämpfer James Carville nun mit einem landslide der Demokraten rechnet – Präsidentenamt, Repräsentantenhaus und Senat. Trumps Chance liegt darin, seine Anhängerschaft zu mobilisieren – sowohl bisherige Wähler wie auch solche, die seiner Meinung sind, bisher aber nicht wählten. Deshalb die alten Hits nochmals, immer die gleichen Spielzüge. “Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor”. In seiner zweiten halben Stunde wiederholt sich Trump immer mehr. Ruin der Wirtschaft unter Biden. Entscheidungsfreiheit futsch. Die gun rights. Die Schweinegrippe von 2009. Fracking in Pennsylvania. Bidens Sohn und die Millionen von Frau Bürgermeister in Moskau. Die Mauer an der Grenze zu Mexiko. 400 Meilen sind schon gebaut, wir schaffen 10 Meilen pro Tag. “Und Mexiko zahlt, nur um zu sagen”. Mexiko habe 22000 Soldaten an die Grenze gestellt, um Grenzübertritte in die USA zu verhindern.
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Was Trump in der zweiten Amtszeit tun will, bleibt ziemlich im Dunkeln. You ain’t seen nothing yet, sagt er. Wie einst Ronald Reagan. Und? Die erste Frau auf dem Mond. “Sehr bald” ein Mensch auf dem Mars. Eine dunkle Drohung gegen China. Viel Corona, auch am Schluss. I feel great. Grossartig erholt. I’m very young and I’m in such perfect shape. So toll sei er zugange, dass er am liebsten jeden Mann und jede Frau in der Versammlung abküssen würde, a big fat kiss. Das ist das Fetzel news, das einige Medien aufschnappen. Trump als Prahlclown, wie man ihn kennt. Eine andere Fazette geht dagegen unter: Trump der pol. Der altmodische, traditionelle Geldhahnpolitiker. Als Florida von Unwettern heimgesucht wurde, habe er sofort Bundesgeld freigemacht, mehr als einmal, sagt der Präsident. Und er habe immer ein offenes Ohr für die Anliegen des Gouverneurs. We take care of you, Florida. So etwas gilt Trumpisten normalerweise leicht als “Korruption” im “Sumpf” von Washington.
Was tut es zur Sache hier? Donald Trump ist ein Lebensgefühl. So etwas wie die Harley Davidson für eine besondere Spezies Motorradfahrer. Auf dem Busen einer jungen Frau steht guns, whiskey, Trump and freedom.
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Als Trump fertig gesprochen hat, ist die Menge längst in Bewegung Richtung Ausgang. Aus den Lautsprechertürmern bollern Queen, Bohemian RhapsodyIs this the real life, is this just fantasy?
Erschienen auf www.watson.ch