Bei der Papstwahl starrt männiglich auf den Kamin der Sixtinischen Kapelle und wartet auf weissen Rauch, manchmal tagelang (Franz der Gegenwärtige wurde am fünften Tag erkoren). Bei der US-Präsidentenwahl starrt man auf den Bildschirm, wo die immer gleichen Gesichter immer das Gleiche wiederholen: Es wird ausgezählt, wir müssen warten. Wie die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle sind die Fernsehgesichter an das Amt gefesselt. Auswechselspieler gibt es keine, das Gleiche muss von den Immergleichen wiederholt werden, bis zum bitteren Ende. Wie lange lässt sich der Monotonraspler John King auf CNN aushalten? Ich schaffe keine halbe Stunde mehr.
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Das Resultat der Präsidentschaftswahl ist weiterhin nicht bekannt. Auch wenn einmal fertig gezählt ist, wird es noch lange dauern, bis es amtlich validiert ist, und noch länger, bis Präsident Trump konzediert und Leine zieht. Beides – concession speech und Amtsübergabe – wird eine Augenweide werden, nicht zu verpassen. Ist es möglich, dass Trump wie ein Sitzdemonstrant aus dem Weissen Haus entfernt werden muss? Caudillos treten nicht ab. Sie werden gestürzt.
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Wie es aussieht, wird Trump die Wahl verlieren. Aber seine Partei steht besser da, sogar ganz gut. Die Republikaner werden im Repräsentantenhaus Sitze gutmachen und haben exzellente Chancen, die Mehrheit im Senat zu behalten. Die Umfragen zur Parlamentswahl lagen noch falscher als jene zur Präsidentschaftswahl. Beides ist gut. Demokratie wird an der Urne ausgeübt, mittels Entscheidungen der Wählerschaft, die sauber ausgezählt und aufgelistet werden. Sie ist weder eine Telefonbefragung von mehr oder weniger zweifelhaften samples noch eine Ansammlung von likes. Übrigens: sie funktioniert in den USA ganz ordentlich. Es trifft nicht zu, dass die Amerikaner keine Wahlen oder Abstimmungen durchführen können, wie europäische Fernsehgrössen süffisant behaupten. Die Auszählung dauert zwar, aber sie scheint zu funktionieren. The process works.
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Donald Trump hat besser abgeschnitten als erwartet, aber schlechter als seine Partei. Eine Anzahl republikanischer Wähler hat wohl down ballot die Kandidaten ihrer Partei gewählt, an der Spitze jedoch Joe Biden den Vorzug gegeben. Das deutet darauf hin, dass republikanische, rechte oder “konservative” Politik stärker da steht als die republikanische Führerfigur. Ein Blick auf die Ergebnisse der Wahl des Repräsentantenhauses belegt es. Bis dahin haben die Republikaner den Demokraten 6 Sitze abgenommen. In New Mexico, Minnesota, South Carolina und Florida waren die siegreichen Republikaner eingefleischte, lautstarke Trumpisten. In Michigan siegte ein vom Vizepräsidenten Pence unterstützter Millionenerbe. Von den geschlagenen 6 Demokraten waren 4 in der Anti-Trump-Wahl von 2018 gewählt und nun wieder abgewählt worden. Die Mehrheit gehörte den zentristischen caucuses in der demokratischen Fraktion an, eine dem weiter links stehenden Progressive Caucus.
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Was heisst das für einen President elect Biden? Der Spur nach wissen wir, was er will: Rückkehr in die von Trump zerstörten internationalen Zusammenhänge (Pariser Klimaabkommen), ein Billionenpaket zur Milderung der Corona-Schäden, mehr Mittel für Bildung und das Gesundheitswesen, mehr Grünes in der Suppe, und die damit verbundenen Steuererhöhungen. Aber Biden blieb vage. Seine Partei ist gespalten. Den “Gemässigten” steht eine Linke gegenüber, die im Wahlkampf diszipliniert hinter dem Kandidaten stand, obwohl dieser sich von den linken Forderungen – grüner New Deal, Geldsperre für die Polizei, allgemeine Staatskrankenkasse – distanzierte. Sie werden ein Wort mitreden wollen beim Regieren. Immerhin haben die linken Exponentinnen und Exponenten ihre Abgeordnetenwahlen alle gewonnen.
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Ausserhalb der Demokratischen Partei ist die Landschaft ebenfalls tief gespalten und bleiben die republikanischen Ansätze stark: noch mehr Steuersenkungen, noch mehr Abbau staatlicher Vorschriften, ‘freier Markt” in allen Belangen , nichts Grünes und America first. Befragungen nach der Stimmabgabe – die exit polls – belegen es. 72 Prozent der Wählerschaft glaubte, die “Positionen des Kandidaten zu Sachfragen” seien wichtiger als die persönlichen Qualitäten (52 Prozent dieser Wähler stimmten für Trump). 35 Prozent hielten “die Wirtschaft” für die wichtigste Sachfrage (82 Prozent dieser Wähler stimmten für Trump). Die Corona-Krise war zwar weniger wichtig als von den Demokraten dargestellt (nur 17 Prozent nannten sie als oberste Priorität), aber wenn es um Anti-Covid-Massnahmen geht, ist das Land gespalten. 51 Prozent waren für Eindämmungsmassnahmen gegen die Pandemie, auch wenn “die Wirtschaft” Schaden nimmt (80 Prozent dieser Wähler stimmten für Biden), 42 Prozent umgekehrt für eine Wiederankurbelung der Wirtschaft zum Preis einer stärkeren Ausbreitung des Virus (72 Prozent dieser Wähler stimmten für Trump). Übrigens: die Maske ist ein Minderheitenthema: Nur ein Drittel der befragten Wähler macht daraus eine Frage der persönlichen Freiheit. Für zwei Drittel ist Maskentragen eine Sache der gesundheitspolitischen Verantwortung.
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Noch hat sich die Linke nicht zum Wort gemeldet. Sie wartet auf weissen Rauch. Rechts bröckelt der Bunker. Trumps Behauptungen, er die Mehrheit der “legalen” Stimmen gewonnen und alles andere müsse vor Gericht entschieden werden, wird von einigen Parteigängern offen bestritten. “Keine Grundlage”, erklärte der – nun wohl ehemalige – Trump-Vertraute Chris Christie am ABC-Fernsehen. “Den Wahlsieg zu beanspruchen ist nicht dasselbe wie die Auszählung zu beenden”, sagte Mitch McConnell, der wiedergewählte republikanischen Mehrheitsführer des Senats. Bereits sind erste Einstimmungen auf eine Biden-Administration zu vernehmen. Auf Trumps Haussender Fox News durften die ehemaligen republikanischen Senatoren Breaux und Lott gestern Abend über gute alte Zeiten der Zusammenarbeit zwischen Präsident und Senat reminiszieren. Sie erinnerten daran, dass Joe Biden, jahrzehntelang Senator des Ministaats Delaware, ein “Produkt des Senats” sei.
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Joe Biden, netter Kerl, aber mit 77 Jahren auf dem Reservetank unterwegs. Hinter ihm der Druck einer gigantischen Wirtschaftskrise und eine Linke, die auf Veränderungen drängt, die greifen. Vor ihm die Wand einer unnachgiebigen republikanischen Senatsmehrheit, die bereits Präsident Obama gezeigt hat, was eine Harke ist. Der alte Mann ist nicht zu beneiden.