Fliegen ist zurzeit die angenehmste Art des Reisens, Du hast  Platz, Ruhe und Musse – beste Bedingungen für ein Buch: Pedro Lenz, “Primitivo”, eine erste Affiche an den Solothurner Literaturtagen, in der ganzen Deutschschweiz ein Schwergewicht der Saison. Die Kollegen vom Rentnerpetanque lesen die Fortsetzungen in der Berner Zeitung.

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Auf 176 Seiten wird die Beziehung des Maurerlehrlings Charly zum alten Arbeiter Primitivo, einem Spanier, beschrieben, dessen Tod auf der Baustelle den Anlass bildet. Primitivo ist in der Welt herumgekommen, liest Gedichte und macht sich Gedanken über das Leben. Charly desgleichen. Schauplatz ist die Gegend um Langenthal BE, aufgeschrieben ist der Text im lokalen Dialekt.

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Das, was ich spreche. Dort, wo ich herkomme.

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Eine gute Geschichte, schön erzählt. Etwas retro, fünfzig Jahre hintendrein. Vor fünfzig Jahren war in CH-4900 verkannt und ungewohnt, dass einer von Land zu Land zieht und sich mit der Frage auseinandersetzt, wo “daheim” sei, und was zähle in seinen Jahren. Heute ist das Dutzendfutter. Heute wäre lohnender zu erfahren, wie ein Primitivo über die obsessive schweizerische Verleugnung alles Europäischen und  die allgegenwärtige Huldigung der “Heimat” (dasch Heimat) denkt, gepaart mit der Abneigung gegen das Fremde. Der Leser kann es nicht erfahren, weil Primitivos Geschichte in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts stattfindet, wo weder die “Heimat” noch die Abneigung gegen das Fremde eine grosse Rolle spielten. Wir hatten lediglich Schwarzenbach und den Möff aus Wynau, denen das Mösch an der Urne geputzt wurde.

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Wie gesagt, eine gut geschneiderte Geschichte. Aber ein paar Webfehler im Tuch. Wer sich den Text vorliest, entdeckt hin und wieder einen Sprung in der Platte, denn so, wie es geschrieben steht, sprechen wir nicht. Niemand in CH-4900 sagt Härdöpfuflockefabrigg. Bei uns ist das die Härdöpfuflocki. Wir sagen nicht mini fröid am schwümmle, sondern mi fröid. Nur ein Stadtberner würde sagen, aues habe gekehrt würkli aues. Wir sagen aus und würkli aus. Ähnlich, wenn die Mutter ruft. Ein Sadtberner sagt: d mueter he mi gruefen. Wir sagen:  d mueter het mr grüeft. Und wer hier aufgewachsen ist, geht nie nach Herzogebuchsi. Wir gehen uf Buchsi.

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Genug – es gäbe noch mehr Beispiele. Schlimm ist das nicht. Aber wenn einer aus  der Ecke stammt und die Ecke als sprachliches Dessin benutzt, sollte sein Werk solche kleinen Hickser vermeiden. Ein wenig geht es hier um truth in advertising. Der Coop verkauft auch kein natura beef, das Antibiotika enthält. Schlimmer finde ich, dass der Autor dem Trend nachgibt, die Zahlen nicht mehr zu deklinieren. Im Pidgin-Dialekt gibt es nur noch “zwöi” und “drü” – der Rest (“zwo”, “zwe” oder “drei”) ist eliminiert, auch bei Pedro Lenz. Dr Richu het drü schwoschte gha , i ha aui drü gchennt, oder mir näh no zwöi bächer? Nehmen wir nie. Wir nehmen zwe bächer oder drei bächer, allenfalls drü Bier oder zwöi Glas Wi, und wer mehrere Schwestern hat, hat zwo oder drei. Und im richtigen Leben ware der Akkordeisenleger nicht mit drüne Büezer angefahren,, sondern mit dreine.

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Ich frage mich, warum das so im Buch steht. Spricht der Autor so? Ich weiss es nicht. Ich kenne ihn nicht, aber ich  vermute nein. Dafür ist er im grossen Rest seines Textes zu nahe am gesprochenen Dialekt und zu weit entfernt vom Neuschweizerdeutschen. Ich vermute, dass es eher am kundigen Lektorat mangelt. Der Verlag ist in Muri BE, ein Herr aus Boll wird als Lektor angegeben. Das ist zu nahe an der Stadt Bern und viel zu weit weg vom Leben, aus welchem der Autor schöpft. Es hätte sich vielleicht gelohnt, das Lektorat einem Muttersprachler zu übergeben.

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Haare in der Suppe. Dem Autoren tun sie keinen Abbruch, das professionelle Feuilleton ist auch so entzückt. Im Nachwort, hochdeutsch, heisst es, Lenzens “Fülle eigenartiger Wörter” erinnere “nicht an beflissen geputzte Schriftsprache, sondern an ein bewegliches, genüssliches Drehen der Worte im Mund, das im Moment geschieht und eher einem kauzigen Kauen gleicht als gehobelter Rede.”

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Hoblä. Das könnte man auf Berndeutsch nicht so sagen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Beim Lesen des Nachworts steigt ein Bild vor dem inneren Auge auf: Der Nachwortschreiber, wie er dem Autoren beim «kauzigen Kauen» zuschaut, möglicherweise auf den Stockzähnen mitmahlend.

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Hoffentlich verschluckt sich keiner.