Memphis/Tennessee. Was Nashville für die Country-Industrie, ist – und war – Memphis für Blues, Soul und Jazz. Der Etappenhalt auf dem Weg der schwarzen Musik den Mississippi hinauf nach Chicago. Auf den Musslisten der Online-Empfehlungen stehen die die Bars der Beale Street und Graceland, die Residenz von Elvis Presley. Das Lorraine-Motel, wo Martin Luther King ermordet wurde, ist ein Bürgerrechtsmuseum.

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Graceland lasse ich aus. Ich war da schon, und mehr als einmal wäre Wallfahrt. Die Beale Street lebt, zumindest auf zwei Blocks. Kaum ein Mensch trägt mehr Maske, In den Lokalen spielen richtige Musiker mit richtigen Instrumenten, hier und jetzt. Live Music – Mitte Juni noch ungewohnt im vorsichtigeren Europa. Der Betrieb ist schütter, nicht zu vergleichen mit den Massen am Broadway in Nashville, aber es ist Montag, und es regnet. B.B. King’s Bar ist gut besetzt, vor dem Eingang stehst Du sogar kurz an. Die Hausband ist solide, der Sänger gut, sie spielen Hits aus dem Katalog der Grossvätergeneration. Signed, sealed, delivered. Man

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B.B. King’s Bar erhärtet die erprobte, aber erneut unbeachtete Regel ein weiteres Mal: Wo live Musik gespielt word, darfst Du nie etwas zu Essen bestellen. Die Nachos sind unter jedem Hund, grausamer, als alles, was in Europa unter diesem Etikett aufgetischt wird. Nach einer Stunde fragt mich die Nachbarin an der Bar, ob ich ihre Rechnung übernehmen könne, sie müsse rasch raus. Ich sage sorry, no und lasse sie ziehen, mit zwei Begleiterinnen im Schlepptau.

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Merke: Wo live Musik gespielt wird, darfst Du kein Essen bestellen

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Die Trouvaille ist das Sun Studio, wo Elvis Presley im Jahr 1954 seine erste Schallplatte aufnahm: That’s all right mama” mit dem Blue Moon of Kentucky auf der B-Seite. Das Gebäude, ein zweistöckiger Schuppen an der Union Avenue, ist unverändert erhalten, immer noch – oder wieder – aktiv und seit einigen Jahren als Museum betrieben. Unter Führung. In einer kleinen, mit Memorabilien vollgestopften Ausstellung im Nebenhaus erzählt der Führer die Geschichte von Sam Phillips, dem Toningenieur mit der Leidenschaft für Blues. Es war Phillips, der die ersten Aufnahmen von B.B.King, Howlin’ Wolf (“meine grösste Entdeckung”) und anderen machte – zuerst für Chess in Chicago, später für sein eigenes Sun Label. “Rocket 88” von Ike Turner wurde hier produziert, die erste Nummer, die als “Rock ‘n Roll” bezeichnet wurde. Und Elvis Presley. Hier, erzählt der Führer, habe Elvis zum allerersten Mal seine Stimme aufzeichnen lassen – bei einer Billigaktion des klammen Philips für Amateurmusiker sei es gewesen, an einem Julitag 1953 sei er erschienen, um ein Lied aufzunehmen, als Geburtstagsgeschenk für seine Mama. Der Führer spielt einen Ausschnitt ab, Every day I reminesce dreaming of your tender kiss...Die Zähne fangen an zu schmelzen.

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Nebenan, im Studio selbst, ist alles so belassen, wie es war, Wände und Boden, die Schallisolation aus perforierter Pappe. Ein Mikrophon sei original aus der Zeit, sagt der Führer, vielleicht habe Elvis selbst dort hineingesungen. Oder Roy Orbison. Oder Carl Perkins, der Sun den finanziellen Durchbruch bescherte. Oder Johnny Cash, der dem Label am längsten die Treue hielt. Die Besuchergruppe – alles weiss und über 50 – reagiert wie ein Schwarm Fische auf einen Schlag ins Wasser. Selfies. Posen am Mikrophon. Der Führer spielt “Great Ball of Fire” und stoppt am richtigen Ort. Die Gemeinde singt aus voller Kehle mit: goodness gracious, great balls of fire.

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Auch der Vorraum ist original erhalten. Dort steht das Pult von Vorzimmerdame Marion Keisker, die dem zögernden Phillips empfahl, den jungen Elvis für eine professionelle Session einzuladen. Daraus entstand, spontan nach einigen unbefriedigenden Versuchen mit weicherem Material, That’s all right, Mama. Der Song brachte den lokalen Diskjockey Dewey Phillips dermassen aus dem Häuschen, dass er ihn am gleichen Tag ein Dutzend Mal abspielte. So wurde der Hit geboren, der Rock n’ Roll an die Gestade des weissen Amerika schwemmte. Dewey’s Arbeitsplatz beim Sender WHBQ im Chisca Hotel steht im Museum nebenan, original. Mit Audio-Kostprobe seines Maschinengewehrgeschnatters.

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Die Eingangstüre, Glas, sei dieselbe, durch die Elvis Presley eingetreten sei, sagt der Führer vor Frau Keisker’s Pult.  Er lädt zu Ehrfurcht ein. Und zum Griff ins Portemonnaie, für ein ordentliches Trinkgeld.