Neben Gettysburg in Pennsylvania ist Vicksburg/Mississippi die andere Schlüsselstelle im amerikanischen Bürgerkrieg. In Gettysburg wurde der Vormarsch der Konföderierten nach Norden gestoppt – die nördliche Wende.  Vicksburg war die westliche. Die Befestigungen des Städtchens am Zusammenfluss des Yazoo River mit dem Mississippi bildeten die Klammer, welche die Südstaaten dies- und jenseits des grossen Flusses zusammenhielt, und die letzte militärische Absicherung der Wasserstrasse. Wer Vicksburg kontrollierte, hatte den Fluss im Griff. Im Juli 1864, zeitgleich mit Gettysburg,   ergab sich der konföderierte General Pemberton nach 46tägiger Belagerung dem Unionsgeneral Grant.

 

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Wie Gettysburg war Vicksburg ein Greuel. Ein amerikanisches Mini-Stalingrad: Bedrängt von der über den Mississippi nach Osten vorgerückten Unionsarmee, hatte Südstaaten-General Pemberton sich in die Hügel rund um die Stadt zurückgezogen, weil Südstaatenpräsident Jefferson Davis es so wollte, und auch in der Hoffnung, vom Rest der konföderierten Armee entsetzt zu werden. Seine Befestigungen erwiesen sich als uneinnehmbar, und nach zwei fehlgeschlagenen Angriffen befahl Grant die Belagerung.  Die Unionsarmee zog einen zweiten Ring aus Schanzen und Gräben um die Stadt und riegelte sie ab. Nebst Dauerbeschuss, waren Hunger und Krankheit die Folge. Am Ende waren in Vicksburg  die Hunde rar und stand Schuhleder auf dem Speisezettel. Nach 46 Tagen gab Pemberton auf.

 

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Du kannst das Schlachtfeld besichtigen, die Rundfahrt führt durch die Erdwälle, vorbei an unzähligen Schildern und Säulen, welche die Position dieser oder jener Einheit verzeichnen. Schautafeln erklären die Ausfälle und Vorstösse, oder diesen und jenen taktischen Sinn einer Position. Ein Filetstück für Militärhistoriker und civil war buffs . Der Parcours ist sechzehn Meilen lang, unterteilt in unterschiedlich lange Schlaufen. Das Auto überholt rüstige Marschgruppen und Jogger.

 

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Einmal Abspulen reicht, die Gegenwart ist interessanter. Im Hotel am Stadtrand tut Stuart Dienst, Anfang fünfzig. “Glaub nicht alles, was sie Dir über Abraham Lincoln erzählen”, sagt Stuart, als ich ihm Interesse am Bürgerkrieg bekunde. “Der hat die Einkommenssteuer erfunden”. Stuart kommt aus Texas, er ist ein Mann des Südens. Er steht – keine Frage – politisch auf der rechten Seite und sieht die amerikanische Geschichte aus dem Blickwinkel der Konföderierten. Wenn Stuart “wir” sagt, meint er den Süden und die Republikanische Partei.  Über den Bürgerkrieg spricht er, als ob er gestern stattgefunden hätte: “Pemberton wurde allein gelassen, so haben wir verloren”. Über die Gegenwart redet er, wie wenn in Amerika zwei separate Gesellschaften existierten. Stuarts Amerika ist “wir in der rote Zone”, der riesige Teil der USA, den die Republikanische Partei (“die Roten”) fest in der Hand hat, und der anders, radikal anders denkt als das “blaue”, eher der Demokratischen Partei zugeneigte Amerika. “Wir in der Roten Zone produzieren neunzig Prozent der Nahrungsmittel”, sagt Stuart. “Wann hat Anastasia Ocasio-Cortez zum letzten Mal ein iPhone gegessen?” Will heissen: Ist sich Frau Ocasio – eine der jüngeren Wortführerinnen der Progressiven – bewusst, dass die wahre ökonomische Macht im Lande auf der rechten Seite liegt?

 

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Wir sprechen über amerikanische Präsidenten. Er sei von Haus aus kein Republikaner gewesen, sagt Stuart, sondern ein Demokrat. Seine Bekehrung habe Ronald Reagan erwirkt – “Reagan sagte, die furchterregendsten Worte der englischen Sprache seien I’m from the government and here to help you. Da wusste ich, he is the man”. Da müsse er die Bushs auch gemocht haben, werfe ich ein. Oh nein, sagt Stuart. “Das waren keine richtigen Texaner”. Der ältere habe doch beim Untergang der Sowjetunion eine ordentliche Aussenpolitik gemacht, wende  ich ein. “Mag sein, aber er versprach read my lips no new taxes, und bot Hand zu Steuererhöhungen. Ein Politiker, der nichts hielt, was er versprach”. Und Georgeweh – Bush II, der Irakkrieger, der den texanischen drawl zelebrierte? “Ach was. Auch keiner von uns. Der wurde in Maine geboren. Ich habe den im kleinen Kreis reden gehört, der sprach nicht wie wir. Das war alles Show”. Clinton? “Einen seiner Sätze hatte ich gern –  There is nothing wrong with America that cannot be cured with what’s right with America, aber er glaubte es nicht. Ein Politiker.”. Das werde heute noch geglaubt, sage ich. “Nicht von den Jungen”, antwortet Stuart. “Das sind alles Kommunisten”. Really? “Wegen der Schule. In der Schulen wird der American Exceptionalism nicht mehr gelehrt”, antwortet Stuart. Amerikas Einzigartigkeit stehe nicht mehr in den Lehrplänen. Heute lehre die Schule, dass Demokratie und Freiheit überall möglich seien, für alle Menschen, aber das sei Mumpitz. Nur in Amerika gebe es beides zusammen, die Demokratie und die Freiheit, zu tun und lassen, was einem passe.  Only in America.

 

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Trump? Stuart sähe es lieber, wenn er am Ruder geblieben wäre. “Ich mag Sleepy Joe überhaupt nicht”. Trumps Politik sei gut gewesen, trotz seines Verhaltens, das ihm auch nicht recht gepasst habe,  meint Stuart. Aber das sei eben so mit den New Yorkern, die seien alle frech, rücksichtslos und rüpelhaft. In your face. “Was kannst Du von einem erwarten, der aus Queens kommt?” Würde er ihn wieder unterstützen, wenn er nochmals antritt? “Kommt drauf an”, sagt Stuart. I am a conservative, not a Trumpist.