Was hast Du nicht alles gelesen über Louisiana westlich des Mississippi: Von den Cajuns, französischsprachige Nachfahren jener Franko-Kanadier, die nach dem Siebenjährigen Krieg lieber an die Mississippimündung migrierten als von der französischen zur britischen Krone zu wechseln. Von ihrem altmodischen Französisch, das dort unten weiter am Leben sei. Von der Musik. Squeezebox und Fiedel. Hank Williams. Zydeco. Von der Küche. Jambalaya. Gumbo. Okra. Von den Bayous und den Alligatorenjagden und den Krabbenfischern. Und New Orleans. The Big Easy.

Über den Fluss setzt Du in Baton Rouge, Louisianas Hauptstadt, mitten im Eldorado der Oel- und Chemieindustrie. Auch als “cancer alley” bekannt. Dann westlich Richtung Lafayette, durch den Atchafalaya-Sumpf, angeblich die grösste zusammenhängende Sumpflandschaft der USA. Links und rechts der Strasse brackige Wasser, durchsetzt mit festem Land, kleineren Baumbeständen und vielen verödeten Baumstämmen. Unten in New Orleans wirst Du im Museum belehrt, dass diese Stummel nicht einfach zur Landschaft gehören, sondern die Folgen von Kanalisierungen und Trockenlegungen im Mississippidelta seien: Spuren unbedachter Eingriffe in die Ökologie.

 

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Der Mittelpunkt der Cajun-Gegend ist Lafayette. Gepriesen für eine hohe Dichte an Restaurants und Bars, Ort der allgegenwärtigen Lebensfreude, Zentrum der Zydeco- und Fiedelmusik. Naja. An meinem Junidonnerstag, Zwei Monate nach der grossen Covid-Lockerung im Bundesstaat ist von joie de vivre und laisser les bons temps rouler noch nicht viel zu spüren. Das Juliet-Hotel im Zentrum hat die Bar geschlossen und das Restaurant nicht geöffnet, die legendären Lokale sind zu, die Strassen auch nach Feierabend leer. Aber ein paar Blocks weiter hinten, an der Lee Street, findet sich das Hideaway. Eine gedeckte Bar in einem Wohnquartier, eine Handvoll Tische, eine grosse Tanzfläche vor der Bühne, nach der Strasse hin offen. Wer will, kann 10 Dollar Eintritt bezahlen, um näher an der Bühne zu sein. Das Lokal ist gerammelt voll, auf der Strasse tummeln sich gewiss zweihundert Personen, die tanzen. Zydeco. Schimm-tschummtschum-Schimm-tschummtschumm. Alle weiss, niemand mit Maske, manche weit jenseits des Pensionsalters. Die Bands wechseln sich alle Stunden ab. Sie spielen nicht besser als jene in Bern, aber weniger eingeübt und gekünstelt. Ein Damenquintett ist ausserordentlich out of tune, die Fiedel tut weh. Das Publikum kümmert es wenig. Man tanzt. Lang-kurz-kurz-Lang-kurz-kurz. In einer Ecke auf einem Trottoir steht eine Gruppe schwarzer Halbwüchsiger, abgetrennt, nicht ganz dazugehörend. Einer spielt ein paar Takte auf einer Mundharmonika. Kein event, sondern ein Quartiertanz an einem Wochentag.

 

 

Weiter nach New Iberia, tiefer zum Golf  hin. New Iberia ist die Heimat der Tabasco-Sauce, man kann den Betrieb besichtigen. Familienbesitz in der fünften Generation auf Avery Island, zehn Quadratkilometer Festland umgeben von Sümpfen und Bayous, den kanalartigen, langsam fliessenden Wasserläufen. Unter der Erde liegt ein gewaltiger Salzstock. Auf der Erde liessen die Franzosen, welche die Insel Petite Anse nannten, Zuckerrohr anbauen.

Tabasco ist ein scharfer, dünnflüssiger Nahrungsverstärker aus Essig und vergorenem Pfefferstampf. Eine ebenso grausame wie allgegenwärtige Ergänzung der Küche, weniger scharf als eine salsa aus Mexiko, zu sauer, zu penetrant, immun gegen jede geschmackliche Vermischung mit den Speisen, über welche es gegossen wird. Aber Tabasco ist für Amerikaner, was Vegimite für die Australier und – enorm abgetönt – Maggi für die Schweizer. Ein kulinarisches Denkmal, an dem nicht zu rütteln ist. Kein Amerika-Fan, der nicht das Hohelied der Tabascosauce anstimmen würde. Wäre nicht hip.

Die Besichtigung auf Avery Island zeigt einiges und lässt Wesentliches im Dunkeln. Der Betrieb ist eine Anzahl gut unterhaltener Backsteingebäude, mit Museum (offen) und Restaurant (zu). Man sieht ein Treibhaus mit verschiedenen Pfeffersorten (auf dem Weg warnt ein Schild vor dem Louisiana Black Bear, der sich allerdings nicht blicken lässt). Man sieht die Küferei, wo die Eichenfässer zurechtgemacht werden. Man erfährt, dass die Pfeffermaische drei Jahre in solchen Fässern gelagert und mit Salz aus dem Avery-Salzstock gedeckt wird. Man sieht die Abfüllanlage, wo die gelagerte Maische mit Essig versetzt und nochmals einen Monat gerührt wird. Aber man erfährt nicht – natürlich nicht – welche Pfeffermischung und welcher Essig genau verwendet wird. Das Museum präsentiert die Saga der Gründerfamilie. Edmund McIlhenny aus New Orleans, im Finanzgeschäft und im amerikanischen Bürgerkrieg bankrott, zieht sich auf die Ländereien seiner Schwiegereltern auf Avery Island zurück und verfällt auf die Idee, eine Pfeffersauce zu vermarkten. Söhne, Enkel und folgende Generation weiten das Geschäft zu einem weltweiten Erfolg aus. Breiten Raum nimmt das US-Militär ein – ein Sonderkunde, der Tabasco in die Rationen packt. Ein Raum ist der Kultur der Cajuns und der indianischen Ureinwohner auf Avery Island gewidmet. Die Sklaverei wird nur dezent erwähnt.

Tabasco ist nichts Besonderes. Auf dem lokalen Markt ist Interessanteres erhältlich. Aber Tabasco schaffte es, weltweite Ware zu werden. Es ist ein Marketing-Erfolg, angefangen bei der besonderen Flasche (Herr McIlhenny nutzte ausgediente Parfümflaschen) bis zur cleveren Werbung. Auf der Weltkarte im Abfüllhaus sind nur wenige weisse Flecken, die meisten in Schwarzafrika.

 

 

Auf zum Meer. Wenn schon da, dann bis zur Küste. Die Karte sagt, dass Strasse 317 zum Burn Point Park an der Küste führe. Meilen um Meile an Oelanlagen und Raffinerien vorbei, entlang von Bayous, buchstäblich auf gleicher Höhe. Im Wasser fragwürdige F Kutter. Schliesslich der Park. Eine triste Szene. Kiesplatz, zwei Schuppen, ein Wall aus mächtigen Steinblöcken. Rötlichbraunes Wasser. Eine Familie badet, zwei Männer fischen. Sonst nichts.

 

Weiter nach Houma, mitten in die Bayous. Zu besichtigen ist die Southdawn Plantation, eine ehemalige Zuckerplantage. Die Pflanzfläche ist längst verkauft und in Wohnparzellen aufgeteilt, von den Ställen und Sklavenbehausungen ist nichts mehr zu sehen. Erhalten ist lediglich das Herrenhaus, Eigentum einer historical society. Hohe Räume, grosse Spiegel. Die Herrenfamilien hätten stark auf das Äussere geachtet, erklärt die Führerin, auch zum Familientisch sei man nur mit tadellos sitzender Frisur und Kleidung geschritten. Auf dem Tisch steht eine Porzellanananas. Die Frucht, für sündhaft teure Summen importiert, sei das traditionelle Dessert gewesen. Sei sie aufgefahren und aufgeschnitten worden, hätten die Gäste das Zeichen erhalten, dass es Zeit sei, zu gehen. Nice to know. Man sieht viel Wissenswertes über Zuckeranbau und Zuckerproduktion, die Führerin gibt einem die schweren Messer in die Hand, mit denen der Sklave das Rohr schneiden musste. Im Obergeschoss eine grässliche Sammlung von Porzellanfiguren – die Hinterlassenschaft einer Pflanzerfamilie, deren Geschenk wohl nicht zurückzuweisen war. Vielleicht hat sie sich um die historical society verdient gemacht, wie der Herr, dessen Büste überlebensgross im Vestibül steht. Ein Raum den Houma-Indianern gewidmet, die immer noch in der Gegend weilen. Geflochtenes und Gewobenes ist ausgestellt, die Führerin weist auf die Photo einer jungen Weberin, die hier und aus gehe. “Wir haben ausgezeichnete Beziehungen”. Die schwarzen Sklaven, deren Nachfahren als noch grössere Minderheit in der Gegend leben, haben keinen Raum in der Southdawn Plantation.

 

Übrigens: Eine französischsprachige Person habe ich nicht angetroffen. Boudin und Andouillette relativ häufig. Französische Familiennamen überall. Aber nichts Gesprochenes. Zwei Personen signalisierten Nähe: My grandpa speaks it.