Am 11. September 2001 war ich Bundeshausjournalist für den “Bund” in Bern. Die Nachricht von den Ereignissen n New York City platzte in eine Pressekonferenz von Verteidigungsminister Samuel Schmid.

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Zu meinem Beritt gehörte die Verteidigungspolitik, und an jenem Dienstagnachmittag waren wir zu einer Pressekonferenz mit Bundesrat Samuel Schmid aufgeboten, dem Chef des Departements für «Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport».  Der Beginn war auf Anfang Nachmittag angesetzt, wahrscheinlich 14 Uhr. Schmid, nur neun Monate nach seiner Wahl das neue Gesicht in der Regierung, hatte das Dossier “Armeereform” auf dem Tisch – ein Euphemisus für die Neuausrichtung einer trägen, viel zu grossen, in den schweinsledernen Traditionen der “bewaffneten Neutralität» und des uniformierten Machismo gefangenen Organisation auf die Sicherheitsanforderungen der Welt nach dem Kalten Krieg. Ich erinnere mich nicht an das Thema der Pressekonferenz, aber ich glaube, dass es auch um “asymmetrische Kriegführung” ging – ein Codewort für den Kampf gegen Feinde, die keinem Staat angehören, keine Uniformen tragen und die Genfer Kriegsregeln ausser Acht lassen.

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Kurz vor drei wurde es unruhig unter den KollegInnen, die bereits Mobiltelefone besassen. Ein Raunen über ein “grosses Flugzeugunglück in New York” zog durch den Raum, und wenig später wurde die Pressekonferenz beendet. Ich erinnere mich nicht, ob der Bundesrat zum Ereignis befragt wurde, aber als wir dem Ausgang zustrebten, war bereits klar, dass das Ereignis nicht ein «Unglück» war, sondern ein geplanter, willentlich verübter Angriff. Ein Kollege – derjenige, der zu allem und jedem stets eine sehr gefestigte Meinung zum Besten gab, verwurzelt in der Lektüre des deutschen Magazins «Der Spiegel», dessen Abonnent er war, dieser Kollege machte vor der Türe, noch im Saal, eine Bemerkung, die ich nicht vergesse. «Das ist die Rache der Dritten Welt», erkärte er. Jetzt hätten “die Amerikaner» die Quittung erhalten, die sie längst verdient hätten. Zweimal sagte er den Satz von der «Rache der Dritten Welt», und zweimal war ich baff. Nur war der “Spiegel”-Adlat nicht der einzige, der mit der Einschätzung rasch zur Hand war. Ich war es auch.  “Das heisst Krieg”, eröffnete ich einem anderen Kollegen. «Auf so etwas werden die Amerikaner nur mit Krieg antworten». Gegen und wo war  mir schleierhaft, aber ich war überzeugt, dass die Regierung in Washington mit Krieg, kriegerischer Gewalt,  reagieren würden. Der Kollege schaute mich mit grossen Augen an.

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Täuscht die Erinnerung nicht, sahen wir noch im Bundeshaus, wie das zweite Flugzeug im zweiten Turm aufschlug, aber vielleicht liege ich falsch und habe beide Momente nicht live, sondern in den unzähligen Wiederholungen gesehen. Auf jeden Fall gingen wir alle rasch zu unseren Schreibtischen zurück, in meinem Fall zur Redaktion des «Bund», die nur drei Blocks entfernt liegt. Dort schauten wir, wie die Türme einstürzten (eigenartigerweise hatte die Inland-Redaktion keinen Fernseher – wir mussten dazu in einen anderesn Raum) und waren mit der Umstellung des Blatts zugange: Extraseiten, Korrespondentenberichte, etc.  Apropos Korrespondentenberichte: Die meisten europäischen US-Korrespondenten waren nicht in Manhattan und berichteten, was sie am amerikansichen Fernsehen sahen. Einige schummelten mit den Autorenzeilen, um sich mehr Authentizität zu verleihen. Ich Weiss vom Fall eines “New York Korrespondenten”, der weit draussen in Connecticut operierte, aber in atemlosem Tonfall über ground zero berichtete.

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Erst am nächsten Tag dämmerte mir, dass “das heisst Krieg” nur eine Linse war, durch welche das Ereignis betrachtet werden konnte. Gleichermassen pausibel war es, sie als kriminellen Akt zu sehen, ein Verbrechen. Zwischen diesen “Narrativen” – wie sie heute sagen – liegt ein grosser Unterschied. Nicht was die Fakten aber was die Reaktion betrifft. Krieg Sache des Militärs, Anwendung der vollen Gewalt ohne Rücksicht auf individuelle Verantwortlichkeiten. Verbrechen ist Sache der Polizei, Anwendung von Gewalt, wo sie notwendig ist, um Täter der gerechten Aburteilung zuzuführen. Soldaten sind nicht gute Polizisten.

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Nur wenige in Politik und Medien haben diese Differenz klar und deutlich markiert. Ich nicht, jedenfalls nicht so stark als ich es vermocht und vielleicht gedurft hätte. Nichts, worauf Du stolz sein kannst.

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