15 Nov 2022. Eine Woche nach den Wahlen im Flugzeug zurück nach Europa. Es ist Zeit totzuschlagen. Zeit, zurückzublicken. Was kam heraus? Was wurde gelernt? Was bleibt? Nicht dass das Ereignis unterbeobachtet oder unkommentiert geblieben wäre: Die veröffentlichte Befassung ist reichlich, die Meinungen ebenso klar wie zahlreich. Hier noch ein Dutzend  draufgesattelt– das eine halbe auf Amerika bezogen, das andere auf das andere Land.

 

  1. Die conventional wisdom ist launisch (vor der Wahl die “rote Flut”, nach der Wahl das Ende des Caudillo) und weltumspannend. Und je weiter vom Schauplatz sie sich äussert, desto eindeutiger werden ihre dernier cris zu Heroldstrompetenstössen aufgeblasen. Kaum ein Zweifler unter den US-Kennern und Amerika-Experten in Übersee.
  2. Es wird prozessiert werden. Sicher, «die Demokratie» hat über die «grosse Lüge» der Anfechter und Ergebnisverwedler gesiegt. Die Trumpisten haben allesamt verloren, und die meisten haben die Niederlage eingestanden. Aber nicht alle. Der Glaube, dass eine Wahl gezinkt oder unfair war, wird wieder erstehen, mit Gerichtsklagen in der Folge. Die erste kommt ironischerweise vom Demokraten Warnock in Georgia, der die Regeln für die vorzeitige Stimmabgabe nicht in seinem Sinne findet.
  3. Donald Trump bleibt ein mächtiger Faktor in der Republikanischen Partei und ein gewichtiger im Land. Aber er wird nicht mehr allein sein. Politik von rechts in den USA ist kaum mehr eine Einzelkür. Neu heisst es unus in pluribus.
  4. Die Republikaner haben ein Problem mit ihrem alten Mann. Er ist zu mächtig. Der Trick wird sein, Trump aufs Altenteil zu führen, ohne seine Masse von Anhängern – Gläubige an den Allmächtigen im Dies- und Jenseits – zu verbiestern. Auf Deutsch gesagt, lautet das Problem der Republikaner: Wie kriegen wir den Elefanten aus dem Porzellanladen?
  5. Die Demokraten haben ein Problem mit ihrem alten Mann. Er ist zu tattrig für eine erfolgversprechende zweite Kandidatur. Falls Präsident Biden sich zum Verzicht auf eine zweite Amtszeit entscheidet, wird Vizepräsidentin Harris erwarten, zur Nachfolge gesalbt zu werden. Das wollen die meisten nicht, bringt aber die Partei ins Dilemma. Denn Harris ist eine schwarze Frau. Und die Schwarzen und die Frauen sind tragende Teile der demokratischen Wahl-Architektur. Auf deutsch gesagt, lautet das Problem der Demokraten: Wie kriegen wir die Kuh vom Eis?
  6. Die wirklichen Probleme (Neo-Deutsch “Herausforderungen”) der realen Welt blieben in den midterm-Kampagnen mehr oder weniger unerwähnt. Das sind, um drei zu nennen, der Klimawandel, die Überlebensbedingungen für die 8-Milliarden-Erde, oder die nuklearen nVernichtungspotentiale. Die jüngste conventional wisdom ­Biden als Weltenführer am UNO-Klimagipfel – ist ein Witz. Die Vereinigten Staaten hinken bei der Begrenzung der Emissionen allen anderen hintennach, die bestimmende Mehrheit der Amerikaner hat keinen Bock auf irgendwelche Korrekturen des un-nachhaltigen American Way of Life, und Bidens grüne Gesetzgebung enthält Bestimmungen zur Beschleunigung der Kohle- und Gasförderung, nicht zu ihrer Reduktion.

 

Da die Schweiz punkto Demokratie auch ein wenig mitreden kann, hier ein halbes Dutzend midterm-Mitnehmerchen für den heimischen Verbrauch.

  1. Wahlen sollten nicht vor Gericht. Falls die Wahlgesetze oder ihre Auslegung Probleme bereiten, gehören sie vor die politischen Instanzen, nicht vor die Justiz. Demokratie lebt vom Vertrauen. Sie kann zutode prozessiert werden, wie es der amerikanischen Demokratie droht.
  2. Keine Wahlwerbung in elektronischen Medien. Nie. Die irren Summen für amerikanische Wahlkampagnen (die Senatswahl in Pennsylvania verschlangen über 300 Millionen Dollar) fliessen hauptsächlich in Radio- und Fernsehwerbung. Gottlob ist das in der Schweiz verboten. Man sollte es nicht ermöglichen. Nicht einmal ein bisschen. Nicht einmal für die allumfassenden und stets wegen Geldnot jammernden öffentlichen Medien.
  3. Personen, die nicht eindeutig dokumentiert sind, gehören nicht ins Wahllokal. Es mag Sinn haben, das Wahlrecht für ansässige Nichtbürger zu öffnen. Aber nur jenen, die klar angemeldet sind. In den USA – ein Land ohne “Einwohnerkontrolle” – kann einer mit der Stromrechnung abstimmen
  4. Das Konzept eines US-geführten “Westens” liegt im Koma. Die Vereinigten Staaten haben in wichtigen Bereichen ihre eigene Agenda. Zum Beispiel beim
  5. Europäisch denken. Den Klimawandel bewältigen, mit der globalen Migration fertig werden, auch die militärische Verteidigung sind nicht exklusive nationale Angelegenheiten. Wo sie darüber hinausgehen, sind sie in erster Linie europäische. Die USA werden uns nicht – nicht immer – heraushauen.
  6. Man sollte Amerika nicht als Feind betrachten. Alte Die Kämpfer auf der europäischen Linken sehen die USA als globalen Beelzebub, der in jedem Übel der Welt eine dreckige Hand im Spiel hat (oft triftig, aber nicht immer). In jüngerer Zeit wird diese Perspektive auch von der europäischen Rechten eingenommen (die Verlautbarungen lesen sich wie copy/paste aus den Revolutionstraktaten der siebziger Jahre), die damit einen Faden aufnimmt, der in den Sumpf der dreissiger Jahre reicht. Zu weiten Teilen ist Amerika ein Freund, kulturell, wirtschaftlich, sozial und auch politisch. In einigen ein Modell.