7. November 2022. Endlich. Die Kaaba zum Hadsch, das politische sanctum sanctorum der Trump-Bewegung. Das Trump Rally mit dem Leibhaftigen. Es ist nicht wie ausgemalt. Ich hatte Esoterik erwartet, quasi-religiöse Ergebenheit, röhrende Männer, in hysterische Ohnmacht fallende Frauen. Ich sehe ziemlich relaxte Zeitgenossen, gut gelaunt, weil siegesgewiss.
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Halb vier Uhr nachmittags laufe ich am Ziel des Ausflugs ein: Areal der Wright Bros. Aero Inc. am Flughafen von Dayton (800 000 Einwohner). Anderthalb Stunden vor Beginn des Programms sind die Parkplätze bereits am Überlaufen. Tausende stehen sich schon die Beine in den Bauch. Einige seien morgens um sechs angetreten. Innerhalb des Sicherheitsparameters leisten Food trucks Überlebenshilfe.
Die Versammlung, Trumps letzte in den midterm-Wahlen, läuft nach gehabtem Schema ab. Ein Flugplatzareal, grosse Fläche. Lange Schlangen vor der Sicherheitskontrolle. Früher Einlass. Unendliches Vorprogramm, viel classic rock, Einpeitscher. Horden von Devotionalienverkäufern. Eine Menge Volk, grosse, sehr grosse Menge. Landung der Maschine des Caudillo. Erscheinung am Rednerpult. Lange Rede, gleicher Sinn: Amerika steht am Abgrund. Biden ist ein Kommunist. Die Gegner sind Landesverräter. Das Volk will Trump, der die Wahl vor zwei Jahren gewonnen hat und um den Wahlsieg betrogen wurde. Die Presse lügt und ist «der Feind des Volks». Grosses Gewicht auf der Todesstrafe für Drogendealer nach dem Muster des Kollegen Xi in China. Kurzer Prozess.
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Der mit der Erscheinung des Caudillo Bedachte ist JD Vance, der republikanische Senatskandidat aber Thema ist Donald Trump. Kandidiert er in zwei Jahren nochmals? Den Tag hindurch haben politische Lakaien gestreut, der Caudillo werde in Dayton die Katze aus dem Sack lassen, aber es gibt nur ein «beinahe». Sechser ohne Zusatzzahl. Wie üblich, kitzelt Trump die Menge, aber er sagt schliesslich nur: «Am 15. November mache ich eine ganz grosse Ankündigung».
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Das erste, was dir auf dem Parkplatz begegnet, ist ein Schnorrer, der dir den «Make America Great Again» Hut andreht (Argument: «Wir sammeln für eine Suppenküche»). Zweite Begegnung ist ein dunkelhäutiger T-Shirt-Verkäufer. Aufdruck vorne : Fuck Joe and the Hoe». Aufdruck hinten: Biden sucks, Kamala swallows. Vor der Sicherheitskontrolle eine lange Reihe von Ständen mit anderen Trump-Devotionalien. Jahrmarktatmosphäre. Zahlreiche der Verkäufer sind Schwarze. Innen muss man die nichtweisse Hautfarbe suchen. Das Publikum ist weiss, alle Altersklassen. Manche mit Kindern. Es gibt die gefürchigen Typen, jene mit den Slogans der National Rifle Association auf dem Schmerbauch, aber ein Trump-Rally ist auch ein Familienereignis. Grossmütter tragen härteste Slogans auf der Brust: «Pro Life, pro Gun, pro God». Immerhin: als wir den «Fuck Joe»-Typen passieren, meint eine ältere Dame zur anderen: «Meine Mutter hätte mich erschlagen, wenn ich so etwas tragen würde.
Am Getränkestand (kein Alkohol, nicht einmal Bier) stehen wir lange an. Ich frage meine Vorderfrau, warum sie Trump gut findet. «Weil er anders ist», sagt sie «er ist kein Politiker». Und warum ist die Hinterfrau hier? «Mein Mann und ich sind beide Unternehmer», sagt Amy, mitte dreissig. «Wir haben kein Verständnis für jene, die nicht arbeiten und bloss die Hand aufhalten, und wir glauben daran, dass man die Früchte seiner Arbeit behalten und nicht alles dem Staat abgeben soll. Wenn man ein Geschäft hat, merkt man, dass vieles gerade umgekehrt läuft». Hat Amy keine Mühe Trumps Persönlichkeit? «Sie meinen seinen Mangel an Anstand? Oh doch. Aber er hat vielen Leuten geholfen. Er hat ein gutes Herz. Man darf nicht nur die Oberfläche betrachten, sondern muss tiefer blicken, ins Herz einer Person».
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Auf dem Podium redet Marjorie Taylor Greene, die rechtsextreme Tröte aus Georgia. Sie würde nach einem republikanischen Wahlsieg alles in Absetzungsverfahren (impeachment) versetzen, was nicht gefällt: «Wir können die Steuerbeamten absetzen, wir können den Bürgermeister absetzen, und wir werden Biden absetzen, wenn wir gewinnen». Applaus.
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Der Mann neben mir stellt sich als Robert Weeks vor, hotrodder. Er baut alte Autos zu modernen Strassenbombern um, aussen gleich wie früher, innen mit modernsten Motoren, Bremsen, Steuerungen. Robert zeigt auf seine Jacke: 2016 war ich hotrodder of the year». Das preisgekrönte Objekt war ein Business-Ford Coupe aus dem Jahr 1944. Robert zeigt ein Photo. Warum ist er für Trump? «Ich habe schon lange geglaubt, das Land sei mit einem Geschäftsmann besser bedient als mit einem Politiker». Sein Freund Jim Jordan, ein reicher Geschäftsmann, habe in den Trump-Jahren mehr Leute angestellt, die Löhne erhöht «und allen Angestellten zwei Wochen bezahlte Ferien gegeben». Jim Jordan wird später von Trump ans Mikrophon gebeten, er ist ein grosser Spender und war ein offenbar berühmter Ringer. Auch sein Geschäft habe floriert, sagt Robert, aber vor zwei Monaten habe er schliessen müssen: «Ich fand keine Arbeiter mehr, und mein Vermieter hat mir die Werkstatt gekündigt ,weil er sagte, ich könne es nicht mehr schaffen». Jetzt arbeite er zuhause, allein. Zurzeit am alten Auto seines Vaters, der an COVID verstorben sei, noch vor der Impfung. Ist Robert geimpft? «Aber sicher. Nächste Woche gehe ich zum vierten Booster». Mit den Impfgegnern kann Robert nichts anfangen. Er ist dankbar, dass die Impfstoffe so rasch entwickelt wurden, «ein Verdienst von Trump».
Gegen sieben spricht JD Vance. Der amerikanische Traum, gefährdet durch die Biden-Regierung, nur zu verteidigen mit den Republikanern. Verbrechen. Die löchrige Grenze. Die mexikanischen Drogenkartelle, die das Land mit Fentanyl überfluten. «Morgen ist ein Referendum über Joe Biden». Vance ist ein polierter Redner, und ein einstudierter. Keiner, der das Publikum mitnimmt. Ein kalter Fisch.
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Auch diesmal darf JD neben Trump stehen. Von Hohn ist keine Rede mehr, Trump stellt ihn fast auf Augenhöhe, flicht seinen Namen des öfteren in seine Rede ein («nicht wahr, JD», «da müssen wir ran, JD») und komplimentiert ihn als unabhängigen mit dem Herzen auf dem rechten Fleck: «JD und ich sagen dasselbe, aber wir sagen es auf unterschiedliche Weise».
Als JD fertig ist, meint Robert: «Well, schauen wir einmal. Hoffen wir, dass er tut, was er sagt». Zweifel? «Er ist auf jeden Fall besser als Tim Ryan». Ryan ist, was JD nicht ist, ein homeboy aus den eigenen Reihen, und er sagt vieles, was Trump auch sagt: Biden müsse weg, zum Beispiel, und Ohio solle reindustrialisert werden, und China bekämpftVance und Trump nennen ihn einen «linken Extremisten». Er stehle die Trump-Themen, habe aber zu hundert Prozent mit Biden gestimmt.
JD Vance redet nur eine halbe Stunde. Dann warten wir auf Trump. Und warten, und warten. Der Caudillo hat Verspätung. «Wenigstens ist die Musik gut», meint Ben, ein Mittzwanziger aus Flint/Michigan, seit kurzem in Dayton. Ben wohnt bei seiner Schwester und ihrem Mann. Aus den Lautsprechern dröhnen Musiker, die sich nicht einmal tot an einer Trump-Veranstaltung hätten blicken lassen. Springsteen, CCR, der tote Tom Petty. Aber auch Phil Collins und Elvis. Ben ist hier, weil er «konservativ’ ist. «Ich komme aus einer konservativen Familie». Trump ist da gesetzt. Als er regierte, gab es keine Inflation, sagt Ben. Gefragt, ob er an den Wahlbetrug 2020 glaube, sagt Ben: «Ich weiss es nicht. Ich weiss, dass Trump in der Wahlnacht weit voraus lag, als ich zu Bett ging, und als ich aufwachte, war alles anders. Das macht mich glauben, dass etwas fischig war». Aber wie gesagt, man kann es nicht wissen.Ben ist kein Fanatiker. Er würde nie acht Stunden anstehen, um Trump zu sehen. Er findet, sowohl Biden wie Trump seien zu alt und ein Austausch des Personals auf beiden Seiten würde gut tun, weil die Spaltung langsam unerträglich werde. «Das Land braucht eine chill pill». Kennt Ben Leute von der anderen politischen Glaubensrichtung? «Ja. Meine Schwester und ihr Mann». Die Schwester, bei der er wohnt? «Ja. Über Politik reden wir nicht». Kennt er Leute, die sich ob der Politik die Freundschaft aufkündigten? «Hier nicht. Aber 2016 war ich unten in Tennessee in der High-School. Es gab Clinton-Anhänger und Trump-Anhänger, die nicht mehr miteinander sprachen».
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