Lieber R,

Ich muss etwas loswerden, und Du bist das Opfer, weil Du der einzige bist, von dem ich ein wenig Verständnis erhoffe.

Hast Du per Zufall am Sonntagabend die Pressekonferenz im Bundeshaus zum Untergang der Credit Suisse gesehen? Ich konnte mich nicht vom Telefon, you-tube-Kanal des Bundesrates, lösen (das Schweizer Fernsehen war unbrauchbar, lästige Übersetzungen, dann Schwenk zu Studiogelaber). Es war erschreckend. Kläglichkeit unten und oben. Oben eine Regierung, die simpelste Fragen nicht beantworten konnte («wird die CS-Aktie morgen gehandelt?»), dafür aber flunkerte, bis sich die Balken bogen («this is not a bailout»). Unten die «Bundeshauspresse», bei der  es 1 Stunde 36 lang keinem in den Sinn kam, irgendeinen politischen Zusammenhang herzustellen. Und dies, wenn die Schweizer Regierung im Wahljahr 209 Milliarden Franken auf eine Wette setzt, dass die Kreation des grössten «Klumpenrisikos» in der Wirtschaftsgeschichte des Landes einigermassen gut ausgehe – vom Verlust der Arbeitsplätze, der Ausschaltung geltender Gesetze oder der Enteignung von bonds-Gläubigern ebenso abgesehen wie von der treuherzigen Versicherung der Finanzministerin, dass die Ausrichtung von Millionen-Boni an die Helfershelfer Privatsache der «Institute» bleibe.

Kein Fragesteller unten nahm das Wort «Wahljahr» in den Mund. Keinem fiel die gute alte, erneut bekräftigte Beobachtung von der «Sozialisierung der Verluste und Privatisierung der Gewinne» ein. Keiner fragte nach, was genau mit den faulen Geschäften gemeint sei, deren Abwicklung wir, die Steuerzahler, nun mit 9 Milliarden Steuerfranken absichern müssen. Es hätte aufschlussreich gewesen sein können, wie der rote Borsalino, unser Bundespräsident, sich hier gewunden hätte. Und noch aufschlussreicher, wie CS-Karin, die Finanzministerin («ich habe ein Konto») sich geschlagen hätte, wenn ihr whopper (um beim Englischen zu bleiben) etwas nachhaltiger genadelt worden wäre. Geschenkt. Die Ausnahmen waren zu wenige. Der wackere Burckhardt vom Radio und der alte Brupbacher blieben mit ihren Vorstössen ins Politische isoliert.

Ich mache jede Wette, dass ein ähnliches Ereignis in einer angelsächsischen Inszenierung anders, härter und schonungsloser abgehandelt worden wäre. Aber wir sind in der Schweiz. Die Angelsachsen, die an der Pressekonferenz zuerst an die Reihe kamen (die Märkte…) sind Finanzschanglis, die sich um die politische Dimension ihres Beritts nicht kümmern. Und die Schweizer arbeiten weder nach eigenem Kompass, noch nach einer erkennbaren politischen Leitlinie, wie es die Staatsbürgerkunde der vierten Gewalt zuweist. Sie sind Konzernangestellte, die den Vorgaben von Chefs, Sous-Chefs, Ressort-Chefs, und dergleichen folgen müssen. Dort ist das Ziel nicht, Macht herauszufordern, zur demokratischen Auseinandersetzung zu zwingen, zur Rechtfertigung zu provozieren, sondern bestenfalls der quote zur story, oft aus anonymer Quelle von einem insider (der Begriff wird übrigens nur in der Schweiz so inflationär verwendet) zugeschrieben. Wer belegen will, wie wenig Journalismus in der Schweiz noch mit Politik zu tun hat, wird auf Youtube fündig. Klick und schau!

Es fuxte mich am Sonntagabend schon ein bisschen, nicht dabei zu sein. Und ich war froh, keine Schweizer Zeitung abonniert zu haben.

Best
J