Drei Tage vor dem Urnengang, fasst sie sich ein Herz und greift den mächtigen Konkurrenten direkt an. Endlich. Und ein bisschen: “Ich habe ihn zweimal gewählt”, sagt Nikki Haley kurz vor Samstagmittag in einem prallvollen Raum des Keene Country Club über Donald Trump . Sie habe “kein Problem damit, dass er so ist wie er ist”, und das meiste seiner Politik sei “gut” gewesen. “Doch sei dem wie es sein möge: Wo er ist, folgt das Chaos. Das können wir nicht haben”. Dann zitiert sie eine Meinungsumfrage, derzufolge sie die bessere Chance hat, bei der Präsidentschaftswahl im kommenden November den amtierenden Präsidenten Biden zu schlagen. Dann macht sie eine Bemerkung über das hohe Alter der beiden: “Wollt Ihr wirklich zwei 80jährige Typen?” Trump ist zwar erst 77, aber am Ende einer weiteren Amtszeit hätte er die Marke erreicht. Dann setzt sie noch einen drauf. Am Vorabend hatte Trump ihr – “Nikki Haley, Nikki Haley” – an einer Wahlveranstaltung in Concord vorgeworfen, beim Sturm auf das Parlament am 6. Januar 2001 nicht für “Sicherheit” gesorgt und Angebote für militärische Verstärkung ausgeschlagen zu haben. Das war blühender Unsinn, der Caudillo hatte Haley mit der damaligen Parlamentspräsidentin Pelosi verwechselt. Haley erinnert genüsslich an den Vorfall und setzt zum Penalty an: Es sei halt schon so, dass “die mentalen Fähigkeiten” nach dem 70. Altersjahr abnehmen: “Das können wir uns nicht leisten”. Nikki Haley ist 52.
Das Publikum, gutbürgerliches Volk, weiss, zwischen mittelalterlich und 70-plus, schmunzelt. Szenenapplaus gibt es, als Haley die erogenen Zonen der konservativen Wählerschaft berührt: Das woke Gedöns über die Unterschiede zwischen Mann und Frau (“wir wollen starke Frauen, das geht nicht, wenn biologische Jungs Frauensport betreiben dürfen”) und die illegale Einwanderung: “Ich schliesse die Grenze ein für allemal”. Der Rest ist traditionelle republikanische Hausmannskost. Das – auch unter Trump -aufgeblähte Bundesdefizit (“wir brauchen einen Buchhalter im Weissen Haus”), die Umweltvorschriften (“Amerika muss energie-dominant werden, die Umweltbehörde soll aus dem Weg”) und “Sicherheit”: Amerika zeigt Schwäche, die Feinde “riechen Blut im Wasser”, China “infiltriert”, China schmuggelt die Fentanyl-Drogen ins Land, China spioniert, “China ist der Feind”.
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Es sind die letzten Tage campaigning im Bundesstaat New Hampshire, wo am Dienstag die Vorwahlen (primaries) im Präsidentschaftswahlkampf stattfinden. An der Urne werden die Delegierten zu den Kongressen der beiden grossen Parteien bestimmt, wo im Sommer die Präsidentschaftskandidaten erkoren werden. Bei den Demokraten ist der Mist geführt: Der greise Präsident Biden tritt nochmals an und wird – falls er medizinisch durchhält – Kandidat. In New Hampshire steht er nicht einmal auf dem Wahlzettel, weil die Demokratische Partei den primary-Kalender umgestellt und die erste Urnenwahl auf in South Carolina angesetzt hat. Die Hampshire-Demokraten sind betupft (der Gliedstaat hat ins Gesetz geschrieben, dass seine Vorwahl die erste im Land sein müsse), eine in letzter Minute organisierte Kampagne ruft auf, Biden auf die leere Zeile des Wahlformulars zu schreiben (write in). Connaisseurs erinnern sich an das Jahr 1968, als der amtierende Präsident Lyndon Johnson ebenfalls nur als write-in-Kandidat auftrat, weniger als 50 Prozent Stimmen erhielt und daraufhin nicht zur Wiederwahl auftrat. Bei den Republikanern steht Ex-Präsident Trump gegen Frau Haley, früher Gouverneurin des Bundesstaats South Carolina und UNO-Botschafterin in seinem Kabinett. Die Ausgangslage ist so spannungsarm wie ein Cupspiel zwischen den Young Boys und dem FC Breitenrain, Trump in der Rolle von YB.
Deshalb hat New Hampshire an politischem Glanz verloren. Die primary ist 2024 nicht der elektrisierende Moment, der sie früher war. Bis 2020 war New Hampshire first in the nation – der erste Test an der Wahlurne auf dem Weg zur Präsidentschaftskandidatur (Iowa ist noch etwas früher, aber dort findet keine Wahl, sondern ein obskures, vollversammlungsartiges Geschacher namens caucus statt). Medien aus aller Welt schickten für teures Geld Korrespondenten hin, die Wähler befragten und an ausgesuchten Orten Stehkommentare aufsagten. Dixville Notch, ein Nest an der kanadischen Grenze, wurde berühmt, weil dort die wenigen Stimmen als erstes ausgezählt und bekanntgemacht wurden. Bei Licht betrachtet, war das immer etwas halbseidig. New Hampshire ist der viertkleinste Staat der USA. Es schickt gerade einmal 22 von zweieinhalbtausend Delegierten an die Parteikongresse. Weit über 90 Prozent der Bevölkerung sind weiss, also kein Abbild der Nation. Aber in der unberechenbaren Dynamik der presidential politics gewann die Vorwahl hier eine überlebensgrosse Bedeutung als Erwartungsbarometer. Wer wider Erwarten schlecht abschnitt, wurde über Nacht zum gefährdeten loser. Wer besser abschnitt als vorausgesagt, kam auf die Titelseiten der Nachrichtenmagazine und in die grossen Sendungen des Fernsehens. Darauf setzt Nikki Haley.
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Trump. Der vor vier Jahren abgehalfterte Caudillo ist in der Republikanischen Partei, was der grosse Silberrücken im Gorillahaus eines Zoologischen Gartens. Was er sagt, gilt. Wer widerspricht, wird abgewatscht. Die Vorstellungen, dass seine Gerichtsaffären oder seine Zweifel am überkomplizierten amerikanischen Wahlverfahren die Partei auch nur zu irritieren vermöchten, stossen ins Leere. Von den Gegenkandidaten ist nur noch Frau Haley (may the best woman win) geblieben, nachdem Florida-Gouverneur Ron De Santis, das boy wonder des letzten Jahres, das Handtuch geworfen hat. Bis zu Haleys spätem Zweifel an der geistigen Fitness des Caudillo haben es alle sorgfältig vermieden, Trump in irgendeinerweise zu kritisieren. Auf die Schweiz umgelegt, befanden sie sich in derselben Lage wie die SVP-Anhänger gegenüber Christoph Blocher: Wer dem Heiland von Herrliberg an den Karren fährt, hat innerparteilich verspielt.
Ich war auch bei Trump, am Abend seiner Haley-Pelosi-Verwirrung in Concord. Die Trump Organization liess die Besucherschaft drei Stunden in minus 10 Grad Kälte warten, bevor die Türen zur geheizten Kongresshalle geöffnet wurden. Man hatte empfohlen, sich um vier Uhr einzufinden mit Einlass um 5, aber es wurde viertel vor Sieben, bis die Türen geöffnet wurden. Eine lange Schlange harrte aus, länger als die Halle zu schlucken vermochte. Auch heute Montag in Laconia, wo Trump auf neun Uhr nachts angekündigt ist, stand um drei Uhr schon eine Warteschlange. Zweifellos sind Treue, Ausdauer, Entschlossenheit und Durchhaltewillen der Trump-Anhänger ungebrochen – zumindest, wenn es darum geht, lange in grosser Kälte zu stehen.
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Einmal drin, war nicht alles so wie bei früheren Trump-Veranstaltungen, jedenfalls nicht denjenigen, die ich besucht habe. Aus den Lautsprechern floss nicht mehr alter Rock (der wurde bei Nikki Haley gespielt), sondern eine Art quasi-sakrale Liftmusik. Die Einpeitscher hielten sich kurz. Der Caudillo sprach weniger bellend, weniger höhnisch, auch weniger laut als bei seinen grossen Massenveranstaltungen. Und er sagte buchstäblich nichts. Seine Rede lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Als ich Präsident war, ging alles gut, jetzt geht alles schlecht, wenn Ihr mich wiederwählt geht alles wieder gut. Der Krieg in der Ukraine, die Inflation (crooked Joe’s inflation), der Gaza-Krieg wäre unter einem Präsidenten Trump unterblieben. Der “nächste Wirtschaftsboom beginnt im Januar” nachdem Trump wiedergewählt ist. “Ich werde die Energiepreise in New Hampshire halbieren”. Die Strafverfolgungen werden nur leicht gestreift. Die scharfen Attacken sind auf Nikki Haley gerichtet: “unfähig, diesen Job zu machen”, not presidential timber, kann dem Chinesen Xi nicht engegenhalten. Dann die Überraschung des Abends: Der schwarze Senator Tim Scott aus South Carolina, einst ernannt von Gouverneurin Haley, tritt auf die Bühne und spricht Trump seine Unterstützung aus. Das macht die Schlagzeilen am nächsten Tag. Dann der Appell, nicht nachzulassen. Trump will am Dienstag nicht nur einen Sieg, sondern einen grossen Sieg, der das Vorwahlgeplänkel beschliesst: “Ihr könnt es beenden, dann gehen wir auf Biden und seine Gauner los”.
Die Menge applaudiert, wo es zu applaudieren gilt. Es gibt Zwischenrufe. Zum Fahneneid und zur Nationalhymne steht man auf und singt mit. Desgleichen als Herr Scott aus der Kulisse tritt. “Die Hypotheken”, schreit einer, als crooked Joe’s inflation angesprochen wird. “Ja, die Hypotheken – unter mir waren sie auf Rekordtief”. Es ist alles da, was eine Trumpveranstaltung ausmacht, die selbstgeschriebenen Plakate, die Männer in Cowboyhüten, die Typen in Westen voller Trump-Ansteckknöpfe, die Damen aus South Carolina, die dem Kandidaten – angeblich – seit Jahren als Groupies folgen. Aber die rohe Energie fehlt. Der Spott, die Häme, die Lust an der Provokation, die rhetorische Zermalmung von Minderheiten bleiben aus. Im Gegenteil. Trump zitiert Umfragen, denen zufolge er bei der schwarzen und der hispanischen Wählerschaft Terrain gewinnt. Seine “beste Wirtschaftslage aller Zeiten” sei eben allen zugute gekommen. So etwas hat schon John Kennedy gesagt: Wenn die Flut steige, würden alle Boote angehoben.
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Die Trump-Show ist am Auslatschen. Déjà vu. Das tausendste Konzert der Stones. Die fünfhunderste Aufführung der “Lustigen Witwe”. Das heisst nicht, dass die Fans verschwinden. Sie stehen weiter Schlange.