“Super Tuesday” ist um die Ecke. 5. März. Siebzehn Vorwahlen an einem Tag. Mit medialem Schmackes: Im hintersten Krähwinkel wird das Ereignis bis ins letzte Fitzel analysiert, berichterstattet, ausgeleuchtet werden, Heere von Reportern werden ihre „Einschätzungen“ verbreiten. Dabei läuft unter dem Strich nichts. Nix, nada: Die US-Präsidentschaftswahl ist langweilig.

Das Geschehen ist rasch zusammengefasst: Hüben gewinnt Biden, drüben Trump. Mitte Juli wird der Konvent der Republikanischen Partei den Caudillo als Kandidaten nominieren, Mitte August jener der Demokraten den amtierenden Biden zur Wiederwahl. Bis dahin ist drôle de guerre, es sei denn, einer der beiden Greise macht vollends die Schraube. In einem solchen Fall werden die Konvente sich hinter jemand anderem zusammenraufen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist. Das nennt sich  brokered convention. Nicht neu, nur ungewohnt.

***

Erst nach den conventions wird die Flaute bewegterem Seegang weichen: Biden v. Trump. Von Interesse wird sein, wieviele Stimmen der unabhängige Kandidat Robert Kennedy welcher Seite absaugt. Kennedy, als Impfskeptiker im Abseits gelandet, ist von den alten Geld- und Machtkennedys, und in der Superbowl-Werbung hat er schon einmal eine ensprechende Duftmarke gesetzt. Sein ziemlich langer commercial war voller vergilbt gehaltener Schwarzweiss-Photos aus der Epoche von Vater und Onkel. Für manche der Trump- und Bidengeneration  auch eine gute alte Zeit.

***

Die Ödnis des Geschehens ist kein Hindernis, politische Folklore zu betreiben, wie ein Streifzug durch das dürre Vorwahlgeschehen in New Hampshire gezeigt hat. Dort hatten die Demokraten gar nicht erst eine zählende Abstimmung angesetzt, und fuhr Trump den erwarteten Erdrutschsieg ein, obwohl er sich nur in wenigen Grossveranstatlgungen blicken liess und auf den als “traditionell” vorausgesetzten Nahkampf mit der Wählerschaft verzichtete. Das hielt nicht von den medialen Ritualen ab: Endlose Bildschirmanalysen, TV-Crews, die von routinierten Einheimischen “vox populi” abholen, TV-Reporter, die vor Ort  standup-Text aufsagen . Im “Red Arrow Diner” in Manchester, wo wo jede TV-Crew aus dem In- und Ausland zum Szeneshot ansetzt, waren am Tag vor der Wahl zwei Damen ausschliesslich  damit beschäftigt, Telefoninterviews zu geben und die Fernsehteams aneinander vorbeizuschleusen. The Swiss seien auch dagewesen.

***

Aus der Beobachtung „im Felde“ kristallieren sich ein halbes Dutzend Anhaltspunkte:

  • Die Behauptung, “die Wirtschaft” laufe gut, dreht im Leeren. Die Statistiken mögen es nahelegen, aber für die Masse des Volkes zählen sie nicht. Dazu ist die Teuerung zu schmerzhaft und zu unmittelbar spürbar.
  • Die Vorstellung, die illegale Einwanderung an der Süd- und Nordgrenze sei ein irgendwie limitiertes, aus politischen Motiven zu einem Popanz aufgeblasenes Anliegen, greift zu kurz. Migration ist eine Hauptsorge.
  • Die Beteuerungen, der octogenarian Biden sei der Aufgabe physisch und psychisch gewachsen, schmelzen angesichts seiner live abgebildeten senior moments wie Schnee in der Märzensonne. Der Mann ist zu alt.
  • Die Hoffnung trügt, Trumps Anhang wende sich wegen seiner Rechtshändel oder einer möglichen Verurteilung vom caudillo
  • Die sogenannten “sozialen Themen” sind durch economy und migration  in den Hintergrund gedrängt. Weder die Klage um das verlorene Recht auf Abtreibung links noch das Geheul um die Aufweichung von Gottes Geschlechterordnung – der Buchstabensalat um “trans”, „bi“ , „cis“, etc. – rechts scheinen grössere Wählergruppen zu motivieren.
  • Aussenpolitik spielt eine kleine Rolle. Ausnahme Gaza: Bidens Nibelungentreue für die aus dem Ruder laufende israelische Kriegführung kostet ihn Stimmen links. Aber die Idee, ein wiedergewählter Biden werde weitere vier Jahre den Rettungsengel für eine an die Wand gedrückte Ukraine spielen, ist wahrscheinlich irrig. Amerika hat keinen Bock auf Krieg im Ausland.

Bisherige Ergebnisse und exit polls -Umfragen bei Wählern, die tatsächlich gewählt haben – bestätigen das Unabwendbare. Bidens Zugkraft bei den Demokraten und ihrem Angang ist ungebrochen, Trumps Anhang bei den Republikanern und ihrem Angang reicht weit über seine “Bewegung” (Make America Great Again – MAGA) hinaus.  Nur ein Drittel der rechten Wählerschaft in New Hampshire nannte sich MAGA-zugehörig, nur ein Viertel als “sehr konservativ”. Es ist irrig zu glauben, die republikanischen Wähler seien allesamt schwach gebildete, eher arme “Verlierer”oder schlichtweg “blöd”. Es gibt “sone und sone”, wie der Deutsche sagt. Junge Studenten, wie Daniel Chen, den ich in New York traf, und Leute wie Dennis M.C,  Joyce Conroy oder Rebecca Sanderson,.

Dennis M.C. (pensionierter Schulvorsteher, 57)

Wir trafen uns vor einer Trump-Veranstaltung in Concord am TV-Feuer in der Hotelhalle neben dem Kongresszentrum. Eine stetig anschwellende Menge musste drei Stunden in klirrender Kälte auf Einlass warten, aber Dennis hatte seinen 22jährigen Sohn als Platzhalter in der Schlange postiert (der Sohn entpuppte sich als linker Bernie-Sanders-Anhänger, die Vater-Sohn-Beziehung ist offensichtlich belastbar). Dennis sagte, er sei registrierter Demokrat, aber seit den Zeiten Ronald Reagans wähle er in der Präsidentschaftswahl immer republikanisch. Auch Trump habe er zweimal gewählt (der Sohn meinte, er sei nicht so sicher), und “wenn es auf Trump gegen Biden hinausläuft, wähle ich wieder Trump”.  Warum? “Trump ist einer, vor dem unsere Feinde Angst haben”. Biden sei “schwach und wirkt schwach, der Rückzug aus Afghanistan eine Schande, der nächste Prüfstein die Ukraine. “Wir müssen uns wehren, aber nicht so, dass wir Soldaten schicken”. Ich wende ein, das sei ziemlich genau die Politik von Biden. “Okay, das ist etwas vom wenigen, was er gut gemacht hat”.

Ich fragte Dennis, warum er glaube, dass so viele so lange in so grosser Kälte ausharrten, um den Caudillo zu sehen, und weshalb Trump so viel Zuspruch erhalte. Er hob den Mittelfinger und sagte fuck the establishment. Dem Establishment ans Schienbein treten. So dächten viele, sagte Dennis, und keineswegs nur die Gescheiterten, Arbeitslosen, Bankrotten, Verschwörungsaffinen oder Spinnerten. “Aber es wird keiner hinstehen, und sich zitieren lassen”. Dennis selber auch nicht. Er lässt sich zwar zitieren, aber seinen wirklichen Namen nennt er nicht, “Dennis M.C.” ist sein Vorschlag. Photographieren lässt er sich dagegen, in der “Churchill-Pose”, wie er es nennt.

***

Dennis ist aus Worcester im benachbarten Massachusetts, Lehrer für Sozialkunde, 57 Jahre alt, als stellvertretender Schulleiter einer Mittelschule schon pensioniert, vier Kinder, davon eines aus China pensioniert, mit einer Brasilianerin verheiratet, Diabetiker, ein Zeh schon weg, deshalb als Behinderter eingestuft. In den USA erzählt man sich rasch sehr viel, wenn so beim Bier sitzt. Als Worcester erwahnt wurde, hob am Tresen eine junge Frau den Kopf. Auch wegen Trump da. Sie ist Tierärztin und wollte sich nicht zitieren lassen.

***

Dennis ist sauer, weil die Wirtschaft für ihn nicht gut läuft. “Alles ist 20 Prozent teurer”. Er ist ein gebranntes Kind. Für sein Ferienhaus auf Cape Cod habe er eine Hypothek aufgenommen, weil Reparaturen fällig waren. Zu 3 Prozent. Jetzt sei der Zinssatz bei 7 Prozent und tue weh. “Ich bin als Rentner auf einem fixen Einkommen”. Er sagt, er sei ein “Kennedy-Demokrat”. Für ein starkes Militär, für sparsamen Umgang mit den Staatsfinanzen, gegen die “linken Ideologen”, die ihm die Demokratische Partei entfremdet hätten. “Heuchler”, nennt Dennis sie. Das “Establishment”, gegen das sich sein Trump richtet, bestehe aus Heuchelei. An seiner Schule in einem sozial benachteiligten Gebiet  habe er erlebt, wie linke Pädagogik und Sozialstaatsbürokratie vor der Realität zurückwichen. “Der Schulpsychologe war unabkömmlich, als wir ihn brauchten, um einem Jungen beizustehen, der eines Tages zuhause über eine Leiche steigen musste, um zur Schule zu kommen.”

***

Heuchelei ist so tun als ob. So tun als ob gehört zum Kern der politischen Person Donald Trump. Mag Dennis, wie der Caudillo sich benimmt? “Nein, gar nicht”. Warum ist er dann hier? Warum die Stunde von Worcester nach Concord fahren, um Trump zu sehen?

“Es sind die kleinen bullshit issues, Die Sache mit den Toiletten zum Beispiel.”

 “Du meinst den Zank um Frauen- und Männerklos”?

“Nein, der Spott über die neuen Standards bei der Klotankfüllung. Früher waren 5 Gallonen im Tank. Jetzt haben sie es auf 1,5 Gallonen beschränkt. Das nimmt nicht alles mit, wenn man spült. Drives me crazy every time.

Joyce Conroy. 56, Sales Manager in einem Hotel

Joyce, 56, Mutter und Grossmutter, ist Fan. Im vergangenen Jahr konnte ihre Grosstochter es gut mit einem jungen Mann aus der Trump-Entourage (they started kind of dating), daraufhin sei die ganze Familie zu einer Trump-Versammlung  in Wolfboro eingeladen worden.  Die Familie erhielt vorderste Plätze, separaten Eintritt. “Es war eine unglaubliche Erfahrung, amazing moment” Pat zeigt Photos. Ich darf sie verwenden.

Pat hat ihr Haus in Rochester aufgegeben, warum sagte sie nicht, und lebt seitdem in der Kellerwohnung im Haus ihres Sohnes in Wolfboro. Der Sohn steckt tief in der Trump-Bewegung, very involved, und er ist auch prepper – einer, der sich auf Disaster, Katastrophen und Weltuntergänge vorbereitet.  Er hat einen Notvorrat angelegt. Wegen ihrer Parteinahme für Trump seien Freundschaften zerbrochen, sagte Pat. Unfriending auf Facebook, Schmiererein am Auto. Die Familie werde wegen diskriminiert. “Wir lassen unseren Grosssohn nicht mit seiner MAGA-Kappe in die Schule, wegen der anderen Kinder”. Der Grosssohn ist 10 Jahre alt. Er heisst Gunner. “Schwedisch?”, fragte ich. “Nein, mein Sohn liebt Schusswaffen. Guns.”

***

Warum Trump? “Ich erinnere mich, wie es war, bevor er Präsident wurde.” Damals habe sie jeden Cent zweimal umdrehen müssen. “Mit Trump veränderte sich die Wirtschaft zum Besseren. Ich konnte einkaufen gehen und musste keine Waren zurück ins Regal stellen, weil ich sie mir nicht leisten konnte”. Jetzt wieder. “Die letzten vier Jahre ist alles teurer geworden. Der Benzinpreis hat sich verdoppelt”. Im Haus ihres Sohnes sei die Heizung ausgeschaltet. “Wir schalten sie nur ein, wenn es wirklich kalt wird. Sonst heizen wir mit Holzöfen”. Fleisch sei selten. “Ich gebe Biden die Schuld, Biden und seiner Partei”. Er sei “ein Präsident, der nicht weiss, was er tut. Er macht das Land lächerlich”. Aber ist die Arbeitslosigkeit nicht auf Rekordtief? “Das mögen sie sagen. Aber das sind nicht die Jobs, die wir hatten. Die Löhne sind nicht hoch genug. Das ist es, was Trump zurückgebracht hat, höhere Löhne”.

***

Lässt Donald Trump das Land nicht auch etwas lächerlich aussehen? Ist sein Verhalten nicht etwas brüskierend? “Was er sagt, kommt direkt aus dem Herzen. Er sagt, was er denkt und er tut, was er sagt. Ich liebe es. What you see is what you get.”

***

Pat Conroy ist MAGA-Anhängerin, aber nicht notwendigerweise Anhängerin aller konservativen Dogmen. Sie sei nicht religiös,sagte sie. Und in der Abtreibungsfrage geht sie mit den Evangelikalen nicht einig. “Ich stehe persönlich auf dem Standpunkt, dass mein Körper mir gehört. Ich will nicht, dass mir jemand sagt, was ich zu tun habe. Ich habe zwei Töchter und will, dass sie entscheiden können, was für sie das Beste ist”. Ist das wichtig genug, um deswegen demokratisch zu wählen? “Nie”.

Rebecca Sanderson, software-Spezialistin, um die 50

Rebecca ist Software-Spezialistin bei der Luftwaffe in Rochester. Ihr Mann, von Haus aus Bauingenieur arbeitet ebenfalls in der Rüstungsindustrie. Sie lässt sich mit ihrem richtigen Namen zitieren, nicht aber photographieren. Warum Trump? “Manche Leute können bullshit durchschauen, andere nicht. Wir können es. Biden denkt, wir können es nicht”. Biden lügt, das ist für Rebecca eine ausgemachte Sache. “Alles, was er sagt, ist eine Lüge”. Zum Beispiel? “Die Wirtschaft. Er sagt uns, dass Arbeitslosigkeit und Benzinpreise gefallen seien. Sicher – aber nur, nachdem er sie in die Stratosphäre schiessen liess. Unter Trump waren sie vernünftig. Und die Arbeitslosigkeit ist gefallen, weil viele Leute mehr als einen Job benötigen. Die Firmen wollen uns nicht mehr für 40 Stunden pro Woche, so gibt es keine Sozialleistungen ”.

***

Rebecca war nicht immer Trump-rechts. “In der Jugend war ich fast Sozialistin”. Mit weichem Herz – bleeding hear syndrome. Sie arbeitete für eine Baufirma in San Diego – nicht angestellt, sondern als selbständige Auftragnehmerin. Als die Firma pleite ging, war Rebecca nicht versichert, schwanger und nach einem Einbruch pleite. Ein Sozialdienst trat auf den Plan. Eine Sozialdame predigte ihr vom gesunden Leben und der gesunden Ernährung, alles Dinge, die Rebecca als gym rat längst wusste. Das Fürsorgebüro verweigerte ihr Leistungen, weil sie zwei Autos besass, Schrottlauben, die nichts mehr wert waren. Und in der Schlange vor dem Schalter warteten “alle diese Hispanics, deren Kinder Nikes an den Füssen hatten und Goldketten trugen”. Rebecca fand dann einen neuen Job bei einer Liegenschaftsfirma. Immer noch mit dem bleeding heart syndrome, vermietete sie Wohnung an Heroinsüchtige, “um ihnen zu helfen”. Die Heroinsüchtigen hinterliessen die Wohnungen als Müllhalden. “Die nutzen es aus. Wir sind Naivlinge.”. We are suckers. Schliesslich fand Rebecca einen Job bei der Luftwaffe, in Rochester/New Hampshire am anderen Ende des Landes. Dort traf sie ihren Mann, Ingenieur, vorher bei Ford in Detroit. Er verlor dort den Job, weil seine Abteilung ausgelagert wurde, 6 Wochen bevor er in die Frühpension hätte gehen können. Jetzt geht es beiden gut. We are doing great now.

***

Warum Trump? Weil er nicht für das steht, was Rebecca in Kalifornien erlebt hat. Und “er ist ein unglaublicher Unterhändler. Das ist das Beste an ihm”. Doch was ist mit der Persönlichkeit? Ist der Caudillo nicht doch etwas widerlich – a tad obnoxious? «Oboxious? Ja, klar. Der Mann ist aus New York. Er kommt aus dem Baugewerbe und er ist reich. Natürlich ist er widerlich. Aber wirkungsvoll».