Lieber R.,

Auf die alten Tage hat uns noch der in Amerika entwickelte Kulturkampf erfasst. Ich habe Dir meine klammheimliche Freude an der Bundeshaustreppenaktion des Abgeordneten Aeschi geschildert, Du hast geantwortet, ich sei eine «Kasperlifigur in Blochers Theater». Damit willst Du wohl sagen, dass ich gegen das – vom heutigen Amerika übernommene – Gebot verstosse, wonach jegliche Stellungnahme der politischen Verortung untergeordnet werden müsse. Ich antwortete: «Lieber ein Kasper im Blocherzirkus als ein Mitläufer beim «Bund». Ich wollte meinem Graus vor der Willfährigkeit des Zürcher Journalismus Ausdruck geben und Dir mitteilen, dass ich mich besagter Unterordnung widersetze. Du sagst, der Volksvertreter Aeschi habe «provoziert», als gegen die Weisung der Polizei  die Bundeshaustreppe hinunterwollte und sich mit einem schwerbewaffneten Polizisten anlegte. So what? Eine Obrigkeit, die ein Parlamentsgebäude mit Maschinenpistolen absperrt, damit mit einem Gast in aller Ruhe ein Foteli geschossen werden kann, ist eine Obrigkeit, die über die Schnur haut und muss provoziert werden. Und eine vierte Gewalt, für solche Provokation – der dahinterliegende Beweggrund ist egal – nur die Betragensnote «ungenügend» aufzubringen weiss, ist keine Gewalt, sondern ein Büttel.

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Mit der Polizei – nichts gegen sie  – verhält es sich wie mit dem Oelfleck auf dem Wasser. Wird er nicht eingedämmt, breitet er sich weiter und weiter aus. Ich habe das Gefühl, dass diese Ausbreitung jetzt im Gange ist und es an Eindämmung fehlt. Die Zutrittsbeschränkungen, VIP-Absperrbezirke, Personenkontrollen breiten sich aus und scheinen widerspruchslos hingenommen zu werden: Besucher von Sportveranstaltungen, Popkonzerten, «events» werden gnadenlos gefilzt, gefiltert, geknipst, und sie nehmen es immer anstandsloser in Kauf. Keiner, der sich mit dem Gorilla vor dem “Club” anlegen würde. Er weiss, auf welcher Seite sein Brot gebuttert ist. Auch im Bundeshaus scheint mir, dass sie es mit der “Sicherheit” masslos übertreiben. Es ist gut, wenn einer sich wehrt, und nur richtig, wenn es ein Abgeordneter ist. Die Abgeordneten sind die Hausherren. Nicht die Polizei oder die Public-Relation-Fuzzis, die ihr den Absperrauftrag gegeben haben. Deshalb herrscht bei mir die klammheimliche Freude. Ich bin Team Tom.

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Natürlich bleiben Fragen offen. Die erste lautet: Wo war der Walliser? An der Treppe stand ja noch ein zweiter Volksvertreter, von dem nur ein stupider Nazivergleich bekannt ist. Ist er dem Kollegen nicht zu Hilfe geeilt? Der Abgeordnete Thomas Aeschi ist ja nicht gerade ein strotzender Athlet, sondern e Bringe, wie wir sagen. Zweitens fragt es sich, warum jene Treppe überhaupt so grossräumig abgesperrt werden musste, dass für den normalen Personenverkehr kein Platz blieb. Wenn die SBB es fertigbringt, einen Bahnhof bei laufendem Betrieb umzubauen, sollte die Bundesverwaltung doch imstande sein, eine Photo Op vor den 3 Eidgenossen ähnlich zu arrangieren. Die dritte Frage lautet, warum solche Photoempfänge überhaupt nötig sind. Wieso kann ein hoher Besuch nicht einfach am Eingang empfangen und begrüsst und dann – diskret – in ein Séparée geführt werden, wo jede Menge Raum, Zeit und Dekor für die Kamera zur Verfügung stehen ? Wieso das Brimborium? Wer hat da gestossen? Wieso gerade die drei Eidgenossen? Sie hätten, fleischworden, möglicherweise eher die Partei des Provokateurs ergriffen.