Samstag, The Bend Park in North Charleston, South Carolina. Niemandsland. Eine Meile weiter ist eine Polizeistation mit dem County-Knast, garniert mit einem Strauss bond-Büros. Sofortkredit für die Kautionen.
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Jaime Harrison, Kandidat der Demokraten für den US-Senat, hat zum drive-in rally geladen. Eine Wahlkampfveranstaltung im Auto, coronadicht. Harrison hat eine Tante, die an der Infektion verstorben ist, und er ist mit seinen Veranstaltungen hypervorsichtig. Ein Anti-Trump. Beginn ist um vier Uhr nachmittags, Einlass um fünf.
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Auf dem Weg kreuzt eine Trump-Kolonne. Pickup-Trucks mit Fahnen, Harley-Davidson-Motorradfahrer, die Hälfte mit, die andere ohne Helm (Notiz in der Randspalte: Harley-Davidson in Wisconsin gehörte zu den grösseren Verlierern in Trumps Strafzollkriegen). Die Kolonne ist länger als ein amerikanischer Güterzug.
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Der Andrang ist überschaubaubar, die Vorsicht überwältigend.
Name, Telefonnummer, e-mail-Adresse?
Johann Aeschlimann, etc.
Wie ist Ihre Email-Adresse nochmals?
A as in apple, e as in England, c as in Christian, h as in house….
Haben Sie Symptome?
Nein.
Sind Sie in Quarantäne?
Nicht mehr.
Sind Sie in den vergangenen zwei Wochen mit Infizierten im Kontakt gewesen?
Nicht dass ich wüsste.
Verpflichten Sie sich, das Auto nur zu verlassen, wenn Sie aufs Klo müssen?
Ja.
Tragen Sie eine Maske, wenn Sie unter Leuten sind?
Ja.
Werden Sie hier eine Maske tragen?
Gewiss.
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Wir werden in Viererkolonne vor dem Eingang geparkt. Es ist warm, irgendwo zwischen fünfundzwanzig und dreissig Grad. Links und rechts brümmeln die Motoren: Air-Condition. Auch als Demokrat lässt der Amerikaner sich die kühle Luft nicht nehmen. Kein green new deal hier.
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Auf dem Feld wirst Du präzise eingewiesen. Can you park right in front of the sign for me, Baby?. Baby kann. Wir warten. Weit weg ist eine Bühne zu erahnen. Und ein Bildschirm, nicht sehr gross. Kaum Musik. Kein Gedröhne wie bei Trump in Florida. Ein paar Kameracrews schlendern durch den Wagenpark. Als eine Kamera sich nähert, schiessen Köpfe aus dem offenen Dach des weissen Jeeps schräg vorne. Gejohle, Plakatgeschwenke. Sobald die Linse schliesst, senken sich die Insassen nach unten in die Kühle.
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Das übliche Vorprogramm. Der Jaime-Harrison-Film, im Loop. Der örtliche Parteipräsident. Der Kongressmann. Ein County-Kandidat. Viel vom Gesagten bleibt unverständlich, weil die Lautsprecher zu schwach sind.
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Endlich der Kandidat. Mitte vierzig. Er erzählt “meine Geschichte”: Arm aufgewachsen im mobile home, die Mutter erst 16 bei seiner Geburt, aber dank Talent, Fleiss und Glück ins College geschafft. Only in America. Bei der Wahl geht es nicht um mich, sondern um Euch, the people. Krankenkasse. Bildung. Spitäler. Ein Plan gegen das Virus. Es geht um Euch. Geht wählen. Geht zur Wahl. Ein leichter Hieb in die Rassenkerbe. South Carolina would be the first state with two black senators. Der andere Senator, Tim Cook, Republikaner, ist schwarz. Harrison ebenfalls.
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Harrison arbeitete nach dem Studium im US-Kongress. Ein staffer. Dann wechselte er zu einer Lobbyfirma, um die Kredite fürs Studium abzuzahlen, wie er sagt. Jetzt will er in den Senat. Sein Gegner ist Lindsey Graham, der Vorsitzende des Justizausschusses, der die Amtseinsetzung der konservativen Trump-Richterin Amy Coney Barrett durchpeitscht. Auch Graham kommt aus kleinen Verhältnissen. Vor vier Jahren war er ein ausgesprochener Trump-Gegner, jetzt einer der vordersten Arschkriecher des Präsidenten. Harrisons TV-Werbung stellt die alten und die neuen Zitate nebeneinander. Man spielt auf den Mann. ”Lindsey Graham geht es nur um eines – Lindsey Graham”, sagt Harrison. Grahams Werbung schont den Mann und zielt auf das Parteiprogramm: Ein Lobbyist, ein Linksextremer, einer, der wegen Corona die Wirtschaft abwürgen will.
Die Geldsummen, die in die Kampagnen gesteckt werden, sind astronomisch. Im dritten Quartal hat Graham 28 Millionen Dollar erbettelt – ein republikanischer Rekord. Harrison brachte es auf 57 Millionen – Landesrekord. Einige Umfragen sehen das Rennen Kopf an Kopf, andere haben Graham um eine Nasenlänge vorn.
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Ich weiss nicht. Es gab Politiker zur Linken, die eine Menge elektrisieren können. Jesse Jackson zum Beispiel, 1984 am Parteikonvent in San Francisco: Der Spielverderber, der nicht mehr Stimmvieh sein wollte, sondern seinen Platz an der Sonne einforderte. Ein “Populist”, wie sie heute sagen würden. Jackson versetzte die Halle in gebannte Erregung, halb Angst, halb Begeisterung. Er zeigte auf, was sein könnte. Harrison ist kein Jackson. Er gehört zum mainstream. Ein Routinier und Routiniers. Jaime Harrison ist nicht ein schwarzer Kandidat, sondern ein bleicher.
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Ob die Abscheu vor den Trumps und Graham ausreicht, um die Wahl zu gewinnen? Ob es mit Geld allein zu machen ist? Ob nicht ein wenig mehr Kümmel in die Suppe müsste? Warum ist “Populismus” so schlecht?
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Donald Trump veranstaltete am Samstag zwei grosse rallies. Joe Biden nahm frei.