Gary Smulyan (64) ist einer der Grossen auf dem Baritonsaxofon. Er hat ungezählte Auszeichnungen gewonnen ( (Down Beat readers’ baritone saxophonist of the year 2019). Seine letzte CD heisst “alternative contrafacts”, sein letzter Auftritt datiert vom August 2020 in Form eines livestream-Konzerts in der William Patterson Jazz Room Series Gary hat Covid-19 überlebt und blickt als Musiker in eine ungewisse Zukunft.
Hallo Gary, ich wünsche ein gutes neues Jahr. Wir sind seit November zurück in der Schweiz. Die Pandemie ist wild hier. Wie ist es bei Euch?
Es ist eine schwierige Zeit im Jahr für viele Leute. Sie kommen zusammen, wollen miteinander essen und feiern, all das. Wir sind auch in einer verrückten Periode.
Ich möchte herausfinden, wie ein grosser Musiker die Pandemie erlebt. Was macht sie mit Dir und Deiner Kunst?
Ich hoffe, meine Geschichte ist eine Lehre, vorsichtig zu sein.
Was geschah mit Deiner Europatournee im März?
Am 6. Und 7. März spielte ich im Smalls in New York, mit Frank Basile, einem anderen grossen Baritonspieler, David Wong am Bass, Ehud Asherie am Piano und Mark Taylor am Schlagzeug. Wir spielten die Musik von Lockjaw Davis und Johnny Griffin.
Smalls ist ein kleines Lokal im Keller.
Der Club war vollgepackt. Es machte mich etwas nervös zu sehen, wie all diese Leute in diesem kleinen Raum tranken und miteinander sprachen, ohne Maske.
Niemand hat damals Maske getragen.
Zu diesem Zeitpunkt sagte die CDC den Leuten sogar, sie sollten keine Masken tragen, weil man zu wenig wissenschaftliche Erkenntnisse über das Maskentragen hatte. Smalls war von Wand zu Wand gefüllt, die Menschen kamen nahe zu mir, um mit mir zu reden, was mich ein wenig nervte. Aber es gab kein Zeichen, was kommen würde.
Du warst für Auftritte in Europa angekündigt, wir hatten abgemacht, uns in der Schweiz zu sehen.
Ralph Lalama, der Tenorsaxophonist, und ich sollten für zweieinhalb Wochen auf eine Europatournee gehen, mit Bernd Reiter, mit dem wir oft spielen. Das war, als das Virus begann, in jedermanns Blickfeld zu geraten. Das einzige wirklich ernsthaft betroffene Land war damals Italien, und ich glaube Iran war auch ziemlich schlimm dran. Ich verfolgte die Webseite der Centers for Disease Control täglich mehrmals, um die Lage in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich zu prüfen. Sie empfahlen Vorsicht, Händewaschen, Distanz von anderen Menschen. Aber CDC sagte uns nicht, dass wir nicht reisen sollten. Und keiner unserer Auftritte war abgesagt. So dachte ich, OK, Musiker treten an und spielen. Niemand sah, was auf uns zukommen sollte. Das war ein Freitag und ein Samstag. Am Sonntag flogen Ralph und ich nach Paris, die Maschine war etwa halb voll. Wir spielten im Duc des Lombards am 9. März.
Vor ein paar Jahren hast Du eine Aufnahme von dort veröffentlicht, “Royalty at le Duc”.
Der Club war an jenem Montag nicht sehr gut besucht. Die Leute begannen, sich fern zu halten. Aber wir spielten zwei Sets. Am nächsten Tag stiegen wir alle in ein Auto und fuhren neun Stunden nach Passau in Deutschland. Wir hatten den Abend frei, und am Mittwoch, 11. März spielten wir auf einer sehr netten Bühne in einem Museum für moderne Kunst in Passau. Wiederum nicht sehr gut besucht. Das ist also Mittwochnacht, wir sind zwei Tage in Europa. Wir spielen unseren Gig, es fühlte sich nicht riskant an, aber die Leute fingen an, ein wenig unruhig zu werden. Auftritte in der Schweiz begannen, abgesagt zu werden. Zu diesem Zeitpunkt fiel die Tournee auseinander. Es wurde auf eine Art schlimmer, die wir nicht vorhersehen konnten. Hätten wir gewusst, dass dies geschieht, wären wir nicht ins Flugzeug gestiegen. Wir spielten also am Mittwochabend in Deutschland, und um zwei Uhr nachts klopft Ralph Lalama an die Tür meines Zimmers in jenem sehr netten Hotel in Passau. Ich frage, was los ist, und er sagt: “Ich schaue CNN, und Trump schliesst die Grenzen. Ab Freitag gibt es keine Flüge mehr von Europa nach New York.”
Was habt Ihr getan?
Es war Donnerstagmorgen um zwei Uhr früh. Die Reisebüros waren zu, und die Website von United war gelähmt , weil so viele versuchten, heim zu kommen. Die Flüge füllten sich, es wurde ein wenig tricky. Meiner Frau und Ralphs Frau gelang es, uns am Computer Flüge zu verschaffen, Lufthansa von München nach New York, einer der letzten Flüge an jenem Tag. Wir ergatterten zwei Sitze, 2200 Dollars pro Stück.
2200 Dollar für economy, nicht wahr ?
Ja. Wir hatten keine Wahl. Der Flug war voll, weil jedermann versuchte, nach Hause zu kommen. Die Szene im Flughafen war verrückt. Tausende von Menschen überall. Glücklicherweise hatten wir unsere zwei Sitze. Wir kamen etwa um sechs Uhr abends an, in Newark. Der Flughafen von Newark wimmelte von Menschen, tausende, überall. Ich wusste nicht, was uns in den USA erwartete. Ich dachte immerzu, dass sie uns wegen Covid in Quarantäne stecken würden, oder zu einer Befragung in ein Hotel abtransportieren. Es stellte sich heraus, dass nichts von alledem geschah.
Nichts?
Wir nahmen unser Gepäck und die Immigration liess einfach jeden herein. Sie stellten keine Fragen. Sie fragten mich nicht, ob ich Fieber hätte, wo ich war, es gab keine Kontrolle. Sie liessen tausende von Menschen nach New York, ohne Intervention oder Befragung, jedenfalls in meinem Fall. So wurde das Virus von Europa eingeschleppt. Der scharfe Anstieg in New York war auf Europa zurückzuführen, nicht auf China, weil tausende von Europa einreisten. Ich dachte mir, wow, das waren wahrhaft grossartige Sicherheitsmassnahmen.
Du bist also ohne weiteres heimgekehrt.
Ich kam nach Hause, Ralph und seine Frau ebenfalls. Meine Frau kochte Teigwaren, meine Tochter kam an jenem Abend aus Boston nach Hause, wir assen zusammen. In jener Nacht wurde ich krank. Ich wusste sofort: Das ist es. Ich sagte mir, dass es nichts anderes sein konnte. Ich hatte ziemlich hohes Fieber. Wohl 39 Grad, was für einen Erwachsenen hoc hist. Ich sagte meiner Frau, dass ich in unser Musikstudio gehe. Wir haben dort eine Couch.
Dort machtest Du Deine Quarantäne.
Ich sagte, ich gehe ab sofort in Quarantäne und ging also in jenen Raum. Am nächsten Tag konnte ich einen Covid-Test machen. Es gab damals nicht viele Tests in New York oder in Yonkers, wo ich lebe. Ich ging zum Spital, sie hatten auf dem Parkplatz ein Triagezelt aufgeschlagen. Wir waren nur zu zweit, um getestet zu werden.
Nur zwei Personen?
Ja, das war immer noch in der Anfangszeit. Ich wusste, dass ich es hatte, aber es dauerte zwölf Tage, bis ich die Testresultate erhielt. Positiv. Zu diesem Zeitpunkt war meine Krankheit schon weit fortgeschritten. Ich hatte während einer Woche Fieber, manchmal ziemlich hoch, aber ich hatte keine anderen Symptome, die mit Covid-19 einhergehen. Ich hatte nie Mühe zu atmen und ich hatte keine kognitiven Probleme. Damals dachte man, es sei eine Krankheit der Atemwege.
Hast Du Deinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren?
Nie. Ich wurde also an einem Donnerstag krank, und drei Tage später wurde Ralph Lalama auch krank. Wir haben es beide entweder beim Auftritt in Paris oder im Flugzeug erwischt, oder Smalls, wo er als Zuhörer dabei war. Wir wissen es nicht.
Was geschah, nachdem das Fieber weg war?
Das ist wirklich beängstigend, weil es überhaupt nicht ist wie eine Grippe, wie die Leute sagen. Das war in keiner Weise wie die Grippe. Ich hatte eine Woche Fieber. Das Fieber legte sich, aber dann kam es in diesen Wellen zurück. Ich fühlte mich wirklich krank und elend und niedergeschlagen während zwei Tagen, dann ziemlich gut für einen Tag, so dass ich mir sagte, OK, es ist vorbei, aber am nächsten Tag wurde ich wieder krank. Ich wusste nie, wann es vorbei war, das war die heikle Sache.
Und Du bliebst immer noch in Deinem Musikzimmer?
Ja. Ich blieb 17 Tage in diesem einen Zimmer in meiner Wohnung, und ich verliess die Wohnung 21 Tage nicht. Meine Frau öffnete die Türe, schob mein Essen durch und schloss die Türe wieder. Ich öffnete die Türe, schob das leere Geschirr hindurch und schloss die Türe wieder. 17 Tage ging ich nur hinaus, um die Toilette aufzusuchen.
Wurden Deine Frau und Deine Tochter krank?
Keine von beiden wurde krank. Sie blieben sicher, weil ich in jenem Zimmer blieb. Sie haben mich wirklich gut umsorgt. Ich denke, dass es wirklich half, isoliert zu blieben und auf Kontakt mit meiner Frau und meiner Tochter zu verzichten. Ich war super, super auf Sicherheit bedacht und darauf, sie der Krankheit nicht auszusetzen, obwohl wir die Wohnung teilen mussten. Es ist eigentlich unglaublich, dass beide nicht angesteckt wurden.
Gingst Du zum Arzt?
Ich ging zu einem Arzt, um meinen Test zu erhalten, aber sonst nein, ich ging nicht mehr zum Arzt. Ich sah keine Notwendigkeit, weil es nichts gab, was sie tun konnten. Es ist ein Virus. Du musst es überstehen.
Hast Du Medikamente genommen?
Das Einzige, was ich nahm, waren Zink, in hohen Dosen, und Vitamin C. Ich denke, das Virus kann in basischen Umgebungen nicht überleben, also versuche ich, meinen Körper in einen basischen Zustand zu versetzen. Ich nehme Zink und Vitamin C und vermeide jegliche Art von Zucker, alle Nahrungsmittel dieser Art. Ich glaube, das hat geholfen. Ich weiss es nicht. Ich hatte nie das Gefühl, dass es mich zusammenlegt und ich ins Spital muss.
Warum weisst Du die Sachen mit dem Zink?
Ich habe eine Akupunkturistin, die sich viel mit immunologischen Reaktionen auf Krankheiten beschäftigt. Sie riet mir, hohe Dosen Zink und Vitamin C zu nehmen. Ich gab mir auch Mühe, hydriert zu bleiben. Ich trank warme Flüssigkeiten, weil kalte anscheinend nicht so gut sind. Heisses Wasser mit Zitrone oder Tee.
Kannst Du die Krankheit nach dem Fieber beschreiben?
Es ist schwierig, das jemandem zu beschreiben, der es nicht erfahren hat. Wenn Du die Grippe hast, kannst Du sagen, meine Glieder schmerzen, meine Nase läuft – Du kannst die Symptome beschreiben. Dies hier besteht eigentlich vor allem darin, dass Du Dich schrecklich schlecht fühlst. Es ist ein allgemeines Gefühl der Niederschlagen Heit. Du hast keine Energie, Du fühlst Dich nicht gut. Und es viele periodische Episoden von diesem Hinauf und Hinunter, einmal fühlst Du Dich gut, dann wieder schlecht, manchmal mehrmals am Tag. Da fühlst Du Dich also eine Stunde gut, dann krachst Du für drei Stunden zusammen, dann wieder ein, zwei Stunden gut, dann wieder der Zusammenbruch. Das ging einen Monat lang so. Ich war einen Monat krank.
Konntest Du üben?
Ja, ich habe geübt. Damals dachte man, es sei eine Atemkrankheit, also machte ich viel Yoga, und ich übte. Ich versuchte, meine Lunge zu bewegen, indem ich viel Atemübungen machte. Das Einzige, was ich nicht vermochte, war Gehen, weil ich nicht aus dem Zimmer konnte. Ich bin 21 Tage nicht gegangen, ich lag hauptsächlich im Bett, so dass meine Beine ein wenig Muskeln verloren. Nach 21 Tagen verliess ich die Wohnung und begann, auf unserem schönen, sehr grossen Vordach zu gehen, zunächst nur zwei Runden, das war alles, was ich schaffte. Zweimal am Tag ging ich ein paar Minuten, bis ich spürte, dass ich ein bisschen weiter gehen konnte, und noch ein bisschen weiter. Heute gehe ich zwei Meilen pro Tag, ich schaue, dass ich jeden Tag gehen kann. Ich bin normal erholt. Ich habe keine langfristigen Gesundheitsprobleme.
Wie geht es Ralph Lalama, der gleichzeitig krank wurde?
Ralph geht es gleich. Wir haben mehrmals täglich gesprochen, um zu sehen, ob wir ok waren. Wir hatten exakt dieselben Symptome und Reaktionen auf Covid
Er hatte auch solche Perioden der Niedergeschlagenheit?
Ja. Wir hatten genau denselben Verlauf, das Hinauf und Hinunter, und es dauerte gleich lang. Er war auch etwa einen Monat krank. Er war für mich eine wirkliche Inspiration, weil er mehr übte als ich und mir zu sagen pflegte “go out and play”. Er brachte mich dazu, zu üben, was sehr gut war. Er zwang sich selbst, zu spielen. Er übte selbst dann, wenn es ihm nicht gut ging.
Wie lang hast Du geübt, als Du krank warst?
Nicht lange. Mit der Zeit schaffte ich wohl 45 Minuten aufs Mal. Am Anfang war ich nach 10 Minuten müde.
Selbst als Du jene guten Momente hattest?
Da konnte ich länger spielen. Aber ich wollte bewusst nicht zu viel tun, weil es physisch ermüdend ist. Ich versuchte, so viel Ruhe als möglich zu haben. Wie ich sagte, dauerte es eine lange Zeit, bis ich sicher war, dass es vorbei ist. Die Perioden, in denen ich mich gut fühlte, wurden länger und länger, und schliesslich blieb das Gefühl der Niedergeschlagenheit völlig aus.
Wie geht es Dir jetzt?
Es ist irgendwie verrückt. Die Krankheit war im März, und jetzt haben wir Januar, und ich muss Dir sagen, ich bin immer noch verstört. Es macht mir Angst, unter Leuten zu sein. Vor ein paar Monaten testete ich positiv auf Antikörper. Ich liess mich von meinem Arzt gründlich untersuchen, um sicher zu sein, dass Covid keine dauerhaften Gesundheitsschäden hinterliess, denn es gibt Menschen, die krank bleiben und sich einfach nicht erholen. Mein fühle mit ihnen. Das ist eine gefährliche neue Krankheit, und wir wissen immer noch nicht viel darüber. Ich gehe davon aus, dass ich nicht immun bin. Ich kann es wieder kriegen. Reinfektionen sind selten, aber möglich, und glaube mir, es ist eine Erfahrung, die ich niemandem wünsche. Wenn ich Leute ohne Maske sehe, denke ich nur, hoffentlich kriegen sie es nicht. Denn es ist eine schreckliche Sache, und es ist viel leichter, eine Maske zu tragen als sich anzustecken. Aber ich kann niemanden zwingen, also schütze ich mich. Ich bin immer noch ängstlich um Leute herum. Ich fühle mich nicht wohl unter Leuten.
Als wir vor einer Weile sprachen, sagtest Du, dass Du so etwas wie post-traumatic stress disorder erlebst.
Ja, ich fühle mich wie wenn ich PTSD hätte. Physisch fühle ich mich gut, aber psychisch spüre ich, dass es mich tief mitgenommen hat. Ich war nie so um Menschen herum. Ich liebe es, unter Menschen zu sein, auswärts zu essen, auszugehen, ein paar Drinks an der Bar zu haben nach einem Gig. Ich fühlte mich nie unwohl oder unbeholfen oder ängstlich oder nervös unter anderen Menschen, aber jetzt fühle ich mich so. Wenn mir jemand zu nahe kommt, macht es mir Angst.
Ist es für Dich als Musiker ein Problem, mit anderen Musikern zusammen zu sein?
Ich spüre das gegenüber allen. Aber ich denke, Musiker sind im allgemeinen ausserordentlich vorsichtig gegenüber dem Virus.
Ihr Lebensunterhalt hängt davon ab.
Genau. Ich habe übrigens einmal gespielt, wir machten einen Livestream, und ich fühlte mich wirklich sicher. Wir waren auf einer sehr grossen Bühne, acht Musiker. Fünf Bläser vorne, sehr weit auseinander, mit Plastikscheiben zwischen uns. Die Rhythmussektion war hinten, sehr weit weg, alle trugen Masken. Es gab keine Zuhörer, nur ein Kameramann und ein Tonmann und die Leute, die das Technische besorgten.
Wie war es, live zu spielen?
Es war eine Erlösung. Es war so grossartig, zu spielen, es war wundervoll. Es war im Oktober, der erste Auftritt seit März. Bis nächsten Frühling habe ich nichts weiter. Es wird also fast ein Jahr ohne Gig sein.
Und wer weiss, was im Frühjahr sein wird, in Europa werden Frühjahrsveranstaltungen abgesagt.
Sicher. Um ehrlich zu sein, ich will nicht in ein Flugzeug steigen. Zurzeit ist es mir recht, nirgendwohin zu gehen. Weisst Du, ich liebe es zu spielen, das ist mein Leben. Und ich spüre, wie das Wichtigste, das mich als Menschen ausmacht, weggenommen wird. Und ich bin nicht allein. Mein Herz fühlt mit allen Musikern überall auf der Welt, aber auch die Bühnenarbeiter, all die Helfer, deren Lebensunterhalt betroffen ist. Die Unterhaltungswelt, die Restaurants. Da werden viele Leben zerschmettert. Wir werden neu definieren müssen, was es heisst, Musiker zu sein, ein Restaurant zu besitzen. Alle möglichen Arbeiten werden durch dieses Virus neu definiert und neu gestaltet.
Als wir das letzte Mal sprachen, machtest Du Dir Sorgen um die Jazz Szene in New York, die Clubs. Wie können sie das nötige Geld verdienen?
Das ist eine sehr schwere Frage und genau hier ist das Dilemma. Es wird nicht mehr so sein wie zuvor. Ich glaube nicht, dass sie wieder 140 Personen in einen Club wie das Village Vanguard kriegen, Schulter an Schulter in einem Kellerraum sitzend. Nicht, falls keine aufwendigen Ventilationsarbeiten unternommen werden. Ich weiss es nicht. Niemand hat die Kristallkugel, um die Zukunft zu lesen. Aber ich sehe einfach nicht, wie die Menschen entspannt und vertrauensvoll genug sein werden, selbst mit der Impfung.
Was einen Club wie das Vanguard ausmacht, ist ja gerade die Nähe zwischen den Musikern und dem Publikum.
Mit einer Gruppe von Menschen solcher Musik zuzuhören, ist das beste Gefühl der Welt. Das Beste. Was daraus wird, was die Auswirkungen sind, wie die Zukunft aussieht, weiss niemand. In den Vereinigten Staaten sterben jeden Tag hunderte von Menschen. Jemand sagte, es sei, wie wenn täglich zwei 747-Flugzeuge abstürzten. Und es scheint, dass wir es einfach akzeptieren. Ich weiss nicht, ob wir es akzeptieren, aber die Wahlen und all das Zeug mit Präsident – Ex-Präsident – Trumps Weigerung, die Niederlage einzugestehen, das Chaos, das er weiterhin veranstaltet – es scheint, dass die Welt zurzeit vollständig als Chaos definiert ist.
In Präsident Biden werden viele Hoffnungen gesetzt.
Bis er die Präsidentschaft übernimmt, sind wir im Griff der derzeitigen Administration, die im Wesentlichen nichts unternimmt, um das Virus unter Kontrolle zu bringen. Ich denke, jetzt bleibt nichts anderes übrig als sich einzugraben, eine Maske zu tragen und social distance zu üben. Man muss die Dinge tun, die wirklich zu tun sind, aber in den Vereinigten Staaten gibt es solche einen Kampf um das Maskentragen.
Hier in der Schweiz ebenfalls. Ich war sieben Wochen in den USA, fuhr von Florida nach New York, und nach allem, was ich gesehen habe, sind die Amerikaner beim Maskentragen besser als die Schweizer. Ich war völlig überrascht von den Amerikanern.
Das ist schön zu hören. Ich selbst schaute immer auf Europa als Modell im Kampf gegen das Virus, denn Ihr hattet es lange Zeit besser unter Kontrolle.
Das war im Sommer so. Wir lagen bei 10, vielleicht 20 Infektionen pro Tag, bei einer Bevölkerung von 8,5 Millionen. Jetzt sind es mehrere tausend pro Tag.
Du darfst den Erfolg nie als gesichert betrachten, und Du musst einfach alles unternehmen, um Dich und die Menschen rund um Dich zu schützen.
Was kommt auf Dich als Musiker zu? Du kannst nicht live auftreten. Deine Musik lebt davon, dass sie live in einer Gruppe gespielt wird, die miteinander interagiert. Nicht wahr?
Ja. Die Lebensader der Musik ist das Zuhören. Für andere Menschen spielen und mit anderen Menschen in einer Live Situation spielen. Das ist der Herzschlag von Musik. Was daraus wird, kann im Moment niemand beantworten. Ich will nicht pessimistisch oder finster oder negativ sein, aber es ist schwer vorstellbar, dass alles zurückkehrt, was früher war. Ich sehe das nicht. Ich hoffe total, dass ich falsch liege, denn ich vermisse das Spielen tief innen. Musik definiert mich als Menschen und als Person, und ohne sie weiss ich nicht. Vielleicht kann ich das nicht mehr tun. Vielleicht muss ich herausfinden, was als nächstes kommt.
Das ist schrecklich.
Ich versuche, das positive zu drehen. Ich liebe Musik, aber ich liebe auch andere Dinge. Ich mag Bücher, ich mag Kochen. Es gibt vieles, das ich gerne mache. Ich versuche, alles in der Perspektive zu sehen, dass das das Leben Dir Dinge in den Weg legt, mit denen Du Dich eben herumschlagen musst. Vielleicht müssen wir nach der Pandemie etwas anderes finden.
Das ist eine gesunde Einstellung, aber auch sehr traurig.
Klar ist es Traurig. Aber ich versuche einfach, die Dinge durch eine klare Linse zu betrachten und zu sehen, was die realistische Lage sein wird. Ich meine, ich kann finanziell nicht noch einmal ein Jahr überleben, ohne zu arbeiten.
Das ist die andere Seite.
Zum Glück habe ich einen Lehrauftrag. Ich bin zu 50 Prozent angestellt, aber sie zahlen meine Krankenkasse und meine Sozialabgaben. Ich bin jeden Tag dankbar, glücklich und gesegnet, dass ich das habe. Aber als Musiker habe ich seit März nicht wirklich als Musiker gearbeitet und kein Geld verdient.
Wo unterrichtest Du?
Purchase College, das ist ein Teil des State University of New York Systems. Sie haben ein Konservatorium und ein fantastisches Jazzprogramm. Das Musikprogramm ist allgemein sehr gut, aber das Jazz Department ist herausragend.
Wo ist das?
In Purchase New York, bei White Plains in Westchester County.
Nicht weit von Deinem zuhause entfernt.
Es sind nur 20-25 Minuten mit dem Auto, sehr leicht. Und sie haben grossartige Studenten, eine grossartige Fakultät. Es ist ein wunderbares Programm.
Kannst Du unterrichten? Ist das College offen?
Ja, es ist offen. Eine beschränkte Zahl von Personen lebt auf dem Campus. Einige Klassen sind live, face-to-face, die Ensembles sind live für kleine Gruppen, und ich glaube, sie haben auch Orchesterspiel, etwas beschränkt. Und die Big Band ist live. Die privaten Stunden sind halb und halb, teils face-to-face, teils online. Sie nennen das hybrid. Die meisten Klassen sind hybrid, zum grossen Teil online. Das letzte Semester ist sehr gut verlaufen, weil jedermann auf dem Campus alle zwei Wochen getestet wird, Fakultät und Belegschaft, und es gab nur eine Handvoll positive Fälle.
Wie viele Studenten sind dort?
Bevor Covid wohl etwa 3000, aber jetzt gibt es Studenten, die zuhause wohnen. Ich denke, auf dem Campus leben nur noh etwa 750.
Wie schafft es diese Schule, offen und sicher zu bleiben?
Alle haben grossartig dazu beigetragen. Niemand glaubte daran, das Semester ohne Schliessung zu schaffen, weil zahlreiche andere Schulen in den USA beim Versuch scheiterten, offen zu bleiben.
Liefert Dein College den Beweis, dass man offen halten kann, wenn das Richtige mit Disziplin getan wird?
Ich denke es. Die Sache mit Purchase College ist, dass es in der Nähe keine eigentliche Ortschaft gibt und Du nicht einfach in eine Bar gehen kannst. Es gibt nicht viele Orte, um auszugehen, so dass die Leute meist auf dem Campus bleiben. Es ist ein wenig isoliert, vor allem für jene ohne Auto. Viele andere Schulen sind in einer college town, wo es ein Nachtleben und Orte zum Ausgehen hat. Dann hat Purchase keine dieser Studentenverbindungen, wo Gruppen von Menschen in einem grossen Haus zusammenleben. Auch keine grossen Sportteams. Viele Covid-Ausbrüche sind auf Sportveranstaltungen zurückzuführen. Die Situation in unserer Schule machte es ein wenig einfacher, das Virus zu beherrschen. Und ich denke, dass die Menschen dort wirklich versuchen, sehr vorsichtig zu sein. Sie üben und befassen sich hauptsächlich mit ihrer Musik und ihrer Kunst und begeben sich nicht in riskante soziale Situationen. Ich muss den Studenten wirklich ein Kompliment machen, sie sind sehr seriös.
Welche Erfahrung machst Du mit online-Unterricht?
Ich gebe online Stunden und unterrichte einige Klassen online. Es ist schwierig, Musik zu unterrichten, weil die Interaktion, die Kommunikation fehlt. Aber gewisse Dinge lassen sich machen. Man kann Musik hören, Aufnahmen hören. Es ist nicht möglich, gemeinsam zu spielen, aber Stunden geben ist ok. Der Schüler spielt und ich übe anschliessend Kritik, oder wir sprechen. Wir alle versuchen, das zu lernen.
Viel Glück, Gary. Ich hoffe, Dich in der Schweiz spielen zu hören.
Ja, wenn sobald wir den Punkt erreichen, da sich die Dinge beruhigen.
Noch etwas: Du sagst, dass Du gerne kochst. Was ist heute Abend auf dem Menu?
Heute Abend gibt es osso bucco. Vor ein paar Tagen machte ich Kicherbsencurry mit Spinat, Couscous und gerösteten Karotten.