Journalismus ist Beobachten und Beschreiben, was ist, deshalb ist dabei sein alles. Oder fast: Es gibt Ausnahmen, und eine davon sind amerikanische Präsidentschaftsdebatten. Sie finden neuerdings in leeren Räumen statt, ohne Publikum, die Berichterstatter werden zusammen mit den Propagandisten in einem Nebenraum untergebracht, wo sie am Bildschirm zuschauen können wie alle anderen. Dennoch schickt jede Publikation, die etwas auf sich hält, ihre Reporter vor Ort, wohl zum stillen Entsetzen ihrer angeblich ewig klammen Kassenwarte. Es ist fast so, als ob die “Desks” und “Chiefs” der Redaktionen sicherstellen wollten, dass ihre Reporter in der geschlossenen Blasé untergebracht sind, wo die Auffassungen über das Gesehene vorgewürzt und weichgegart werden, bevor man sie dem Publikum als “Einschätzungen” offeriert. Die meisten drehen sich um die Frage, wer “gewonnen” und wer “verloren” hat.
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Ich habe die Debatte Trump-Harris zuhause geschaut. Mich interessierte vor allem, was über eine künftige Regierungstätigkeit der beiden Seiten zu erfahren war, und ich stelle ernüchtert fest: Wenig bis nichts. Die Debatte war eine Orgie von Floskeln, Ausflüchten und frecher Verweigerung, auf ziemlich präzise gestellte Fragen zu antworten – auf beiden Seiten. Trump war Trump – der Caudillo, der der Gefolgschaft bedeutet, er werde es schon richten – den Krieg in der Ukraine noch vor Amtsantritt beenden, zum Beispiel. Die alte Platte. Frau Harris gab die Anwältin des kleinen, hart arbeitenden Mannes, wie es alle Vertreter der Demokratischen Partei vor Wahlen tun, und sie machte einen auf Obama: Wir haben mehr Gemeinsames als Trennendes, wir schauen nach vorn und nicht zurück, etcetera. Ein Abklatsch des Originals, Obama in Schwarzweiss statt in Farbe.
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Aus nicht-amerikanischer, europäischer Sicht ragen drei Fingerzeige aus dem Morast:
- Vergiss das Klima. Widerstand gegen die Erderwärmung heisst in erster Linie Ausstieg aus der fossilen Energie, aber Trump und Harris lieferten sich einen Wettlauf um die Förderung von Öl und Gas. Es ging um fracking, das Anzapfen von Vorkommen durch Aufbrechen von Gesteinsschichten. Trump ist dafür, die Wähler in den einschlägigen Regionen schätzen die neue Bonanza und Frau Harris hat ein Problem. Vor einigen Jahren war sie dagegen, aber jetzt ist sie auf das letzte Fitzel Stimmenanteil angewiesen ist, um Trump zu schlagen, zum Beispiel im frackfreundlichen Pennsylvania. Deshalb ist sie nun dafür. In der Debatte prahlte Harris, dass die grüne Gesetzgebung der Biden-Administration (Inflation Reduction Act) die Erschliessung neuer Gas- und Ölvorkommen ermögliche. Das ist so, weil der grünere Biden vom demokratischen Senator Joe Manchin aus dem Kohle- und Gasstaat West Virginia erpresst wurde..
- Macht kommt aus den Gewehrläufen. Beide Kandidaten wetteiferten, wer das Militär am höchsten schätzt, keine Seite zweifelte am Vorrang von Amerikas militärischer Stärke (Harris will sicherstellen, dass die US-Streitkräfte “die tödlichsten der Welt” sind). Die Vorstellung, dass die Ordnung der Verhältnisse in der Welt Sache von Verhandlungen, Ausgleich oder gar Kompromiss sein könnten – eine Prämisse der europäischen und mehr noch der schweizerischen Aussenpolitik – ist vollständig abwesend. Weder auf der republikanischen noch auf der demokratischen Seite war auch nur ein Häuchlein von “Multilateralismus” zu erkennen. Partner treten nur als “Alliierte” in Erscheinung – beispielsweise bei der Unterstützung der Ukraine, die Harris sich an ihre Fahne heftete. In diesem Zusammenhang war es eher sie, die als Fälkin auftrat: Sie war diejenige, die klar weitere Unterstützung des ukrainischen Abwehrkampfs in Aussicht stellte, während Trump “den Krieg stoppen” will (“Ich will Leben retten, die nutzlos getötet werden”). Und sie warf Trump vor, mit den Taliban verhandelt zu haben. welche US-Truppen in Afghanistan getötet hatten (Trumps einleuchtende Rechtfertigung: “Sie waren diejenigen, die töteten”).
- Wirtschaftskrieg. Beide, Trump und Harris, liessen keinen Zweifel daran, dass die USA zum ökonomischen Arsenal greifen werden, um in der Supermachtrivalität mit China zu bestehen. Es geht um Zölle auf chinesischen Importen und Export- oder Zusammenarbeitsverbote mit chinesischen Firmen. Trump hat die Zölle während seiner Amtszeit verschärfen und würde nachdoppeln. Harris warf Trump vor, für die Modernisierung der chinesischen Armee “amerikanische Chips nach China verkauft zu haben”. Es gibt jeden Grund zu vermuten, dass Washington Zölle und Verbote auch über China hinaus einsetzen wird, wenn es seine Interessen gefährdet sieht . Die Freihandels-Theologen auf beiden Seiten des Atlantik müssen sich warm anziehen.
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Ah ja, die Katzen. Donald Trump behauptete, in Springfield/Ohio seien Einwanderer auf Katzen und Hunde aus, um ihren Speisezettel zu bereichern: “Die essen die Haustiere der Leute, die dort wohnen”. Ein globaler Aufreger: Rassismus, fake news, Entsetzen. Aus meiner Warte eher ein Ereignis aus der Kategorie So What? Denn in der Schweiz gibt es das schon lange. Zwei Belege dazu: Als Schüler jobbte ich beim Ammann im Materiallager und erhielt beim Znüninäh von einem älteren Kollegen aus Rütschelen jeweils ein paar Scheiben Trockenfleisch zugesteckt. Aeschlime, weisch was das isch?, fragte er eines Tages. Dasch Hung. Ich gestehe, dass ich weiter davon nahm. Es war gut geräuchert. Und als meine Mutter sich einst nach dem Verbleib des Nachbarhundes Aldo erkundigte, sagte Frau Wyss mit der Nonchalance einer Ignoramus: Dä heimer gmetzget. Beides hat sich zugegebenermassen nicht im 21. , sondern im 20. Jahrhundert zugetragen, und nicht in einem rückständigen Krachen, sondern dort, wo die Schweiz am mittelmässigsten ist.
Guter Bericht! Offenbar hast du Vorbehalte gegen beide Kandidaten! Meine Kollegen diskutieren bei meinem wöchentlichen Saunabesuch immer über Politik. Es sind alles ehemalige Politiker.
Wir fragen uns oft : Hat die USA wirklich nichts besseres zu bieten?
Grüsse Beat Anderegg