Vielleicht liegen die Gazillionen Meinungsumfragen falsch, und gibt es statt des seit Monaten “gemessenen” Patts eine eindeutige Entscheidung in der US-Wahl. Hoffentlich. In den vergangenen Jahren sind die meisten von ihnen falsch gelegen. Das tat gut, weil die . Vereinigten Staaten so vorführten, dass die politische Werbeindustrie ihre Limiten hat. Die Einstellungen der Bürgerschaft können nicht bis auf die letzte Stelle hinter dem Komma gemessen, ihr Entscheid nicht bis ins Letzte sozialwissenschaftlich manipuliert werden. Möglich, aber wohl nicht wahrscheinlich, dass wir so etwas wieder sehen. In den Tagen vor der Wahl hat eine Umfrage im tief republikanischen Gliedstaat Iowa Wellen geschlagen, die dort einen Vorsprung von Kamala Harris feststellte.
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Eines der vielen Fragezeichen ist die Wahlbeteiligung. Die landläufige Meinung geht von einem Rekord aus. Als Indiz gilt “early voting”. Über 70 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner haben bereits zum Voraus abgestimmt, das sind bereits halb so viele, wie vor vier Jahren gewählt haben. Am Dienstagmorgen war in Chicago noch nicht viel von Rekordbeteiligung zu spüren. Vor dem Wahllokal in Silvie’s Lounge an der Irving Park Road musste niemand anstehen. “Angenehm”, sagte ein Vater mit einem Baby, der soeben seine Stimme abgegeben hatte. “Zehn, vielleicht fünfzehn Minuten Wartezeit”.
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E-day, election day, ist das Auge im Sturm. Ausser in den Wahllokalen läuft nicht viel. Die Aufregung kommt am Abend, wenn sich die ersten Resultate aus den östlichen Gliedstaaten konsolidieren und die TV-Anstalten erst Hochrechnungen erstellen. Ein gültiges Resultat ist vor Mittwoch nicht zu erwarten, vielleicht noch später. Gleichzeitig setzt der Reigen der Anfechtungen, Gerichtsklagen, Kompetenzstreitereien ein, der Wochen in Beschlag nehmen wird. Donald Trump hat bereits verkündet, er wisse, dass in Pennsylvania betrogen werde. Hundert Klagen waren hängig, bevor auch nur eine Stimme abgegeben wurde. Parallel zu den Gerichten werden die Parlamente der Gliedstaaten zu Schauplätzen des Nachwahlkrakeels. Dort müssen die Elektoren (“Wahlmänner”) validiert werden, die im neuen Jahr nach Washington reisen und die Präsidentschaftsperson formell wählen. Kommt das zustande, wird der Kongress den Elektorenentscheid besiegeln müssen. Das war vor vier Jahren der Akt, der zum gewalttätigen Sturm auf das Kapitol führte . Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass es bereits vorher handgreiflich wird. Wie sagte der Mann beim Getränkestand am Trump Rally in Milwaukee? “Wo Tyrannei Gesetz wird, ist Rebellion Pflicht”.
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Das alles wird in der Wahlnacht von Dutzenden Expertinnen und Experten durchgemüllert und von der B-Liga an den europäischen Bildschirmen wiedergekäut werden. Bis der Arzt kommt.
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Postskriptum: bereits muss ich mich löffeln. Im Flieger nach New York sagt der Steward, er sei drei Stunden angestanden, bevor er wählen konnte. Daheim angekommen, sagt ein Mann im Lift auf die Frage, ob das Wahllokal im Gebäude rege benützt werde: are you kidding? The place was teeming the whole day.