Amerika hat den Faschisten – oder sagen wir: eine Person mit klar faschistischen Zügen – zum Präsidenten gewählt. Den Prototypen des windigen business man, der seine Kunden übers Ohr haut, seine Partner bescheisst, seine Freunde so lange aushält, wie sie ihm nützen und seine Feinde erbarmungslos verfolgt. Das wird sich im Amt nicht ändern. Donald Trump der Präsident ist ein Caudillo lateinamerikanischen Zuschnitts mit Macken, Launen und dem Anspruch auf absoluten Gehorsam.
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Der conventional wisdom zufolge wurde Trump diesen Eigenschaften zum Trotz gewählt – ein Kotzbrocken, der das Richtige will. Ich vermute das Gegenteil. Es ist gerade die Attitüde des Führers, die Trump attraktiv macht. Der Rebell, der sich gegen alle Widerstände im «System» durchsetzt. Die Ansage ist klar: Absage von allen Massnahmen gegen den Klimawandel (Trump redet allenfalls von «sauberem Wasser» und «sauberer Luft»), hohe Zölle gegen ausländische Konkurrenz, Massenausweisungen von illegalen Einwanderern, Rückzug auf eine Politik der Stärke in der Welt. Die Vorstellung, universale Werte (siehe: «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» ) oder globale Ziele (siehe: «Agenda 2030») liessen sich durch Kompromisse zwischen gleichberechtigten Partnern realisieren, ist dieser Denke exotisch. Trumps Amerika kennt keine Partner, sondern nur eine Gefolgschaft. Wie es schon nach 9/11 hiess: Either with us or against us.
Bei den Geschlagenen halten sich Trauer und Wut die Waage. Wut über die Halbschuhe in Dumbfuckistan, Trauer über das Ende des guten, offenen, Einwandereramerika voller unbegrenzter Möglichkeiten. Mit Dumbfuckistan kann ich nicht viel anfangen. Ich kenne zu viele Trump-Wähler, die keine dumbfucks sind und denen ich Freund bleibe – abgesehen davon, dass es offensichtlich nichts abträgt, diesen Leuten die Dummheit vorzuhalten. Die Fernsehkomödianten tun es Nacht für Nacht ohne nachhaltige Wirkung.
Die Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe (exit polls) zeigen, was am 5. November los war. Die Leute mit den tieferen Einkommen (unter 50 000 Dollar pro Jahr) und diejenigen, welche das Land in der «falschen Richtung» sahen, haben Trump gewählt. «Die Wirtschaft» war das wichtigste Anliegen der Wählerschaft. Die Empörung der kleinen Leute über die unverschämten Preise, die Unerschwinglichkeit der Städte, die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich, die Unerreichbarkeit der höheren Bildung gab den Ausschlag, und Trump hat sie besser abzuholen gewusst. Er tat es mit den Rezepten, die wir in Europa seit langem – genau: seit den dreissiger Jahren – kennen: Verklärung des Nationalen, Verherrlichung des «freien Unternehmertums», Bekenntnis zu Tradition und Religionen, Abgrenzung von einem «anderen», nicht zu «uns» Gehörenden, das als Ursache allen Übels identifiziert wird. Im Trumpismus ist das die Einwanderung, die illegale. Es gibt keine Widerwärtigkeit, die nicht der «Migration» in die Schuhe geschoben würde. Wir kennen das. Die Schweizerische Volkspartei wendet das Muster seit Jahren mit grossem Erfolg an. Die Schweizer sind Europameister im Trumpismus.
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Aber die Altmeister des Fremdenhasses in der Schweiz tun gut daran, die amerikanischen exit polls ein wenig zu studieren: «Immigration» war nur bei 11 Prozent der Wähler ein wichtiges Thema – weit abgeschlagen hinter «Wirtschaft» und die – von beiden Seiten hochgefahrene – «Sorge um die Demokratie». Es gab weit mehr Wähler, die illegalen Einwanderern «eine Chance» geben wollen, als solche die Trumps Massendeportationen gutheissen, und von Letzteren stimmten 11 Prozent für Harris.
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Das Wahlresultat ist eindeutig, aber die Klarheit täuscht. Die Wahlbeteiligung 2024 war deutlich kleiner als 2020, und die Differenz schlägt bei den Demokraten zu Buche. Donald Trump erhielt ungefähr gleich viele Stimmen wie vor vier Jahren, Kamala Harris dagegen rund 12 Millionen weniger als Biden 2020. Senator Bernard Sanders, der Sozialist auf Seiten der Demokraten, sagte warum: Wenn die Demokratische Partei die working class verlasse, müsse man sich nicht wundern, wenn die working class sich von der Partei abwende. Die working class ist, was wir in der Schweiz die Büezer nennen. So wie die SVP in der Schweiz die Büezer-Partei geworden ist, sind die Republikaner in den USA die Partei der working class geworden. Es ist eine Entwicklung über ein halbes Jahrhundert. Wie sie gelaufen ist, lässt sich in -zig Büchern nachlesen (ein derzeitiger Favorit ist David Leonhardt – Ours was the Shining Future).
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Die Demokraten, die nun Nabelschau betreiben, hören das nicht gerne. Sie verweisen auf die rosigen Statistiken und die zahlreichen ökonomischen Vorhaben in der «Wahlplattform». Aber die dicken Wahlplattformen sind keinen Schutz Pulver wert (Trump, der das weiss, diktierte 20 Punkte auf einem Blatt Papier). Und Kamala Harris war keine glaubwürdige Kandidatin, um der working class eine ökonomische «Botschaft» zu übermitteln. Ihre Verheissungen waren zu durchsichtig, der versprochene Einsatz «für die Mittelklasse» zu vage, die Reden zu floskelhaft. Harris kam wie eine ölige Human-Resources-Dame daher, oder wie eine erschütterte Bekannte an unserer Wahlparty in New York sagte: «Jeder von uns hat einmal so eine Lehrerin gehabt». Der mit Gemeinplätzen gepflasterte Auftritt am Tag nach der Niederlage (I will never give up the fight for a future where Americans can pursue their dreams, ambitions, and aspirations) räumte jeden Zweifel aus. Auf die Schweiz übertragen: Kamala Harris war zu sehr Beat Jans und zu wenig Frau Badran.
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Die Harris-Kampagne zielte auf konservative weisse Wähler in den Speckgürteln rund um die Städte, den suburbs, und dort vor allem auf die Frauen. Sie wurden mit dem Versprechen auf Wiederherstellung des nationalen Rechts auf Abtreibung geködert, das unter Trump gekippt worden ist. Das reichte nicht. Wohl war die Sorge um den «Zustand der Demokratie» das wichtigste Wahlthema überhaupt, noch vor «die Wirtschaft». Aber für jeden, der in Trump den Totengräber der Demokratie sieht, gab es einen, der die Gefahr im Verwaltungssumpf von Washington (deep state) und den Justizverfahren gegen Trump erblickt. In den exit polls halten sie sich die Waage. Die Frauen? Ja, sie stimmten mehrheitlich für Frau Harris. Aber 53 Prozent der white suburban women wählten Donald Trump. Auch das Abtreibungsargument zog nicht genügend. Zwei Drittel der Wähler sind dafür, dass Abtreibung legal sein soll. Aber ein Viertel von ihnen wählte Trump. Offensichtlich wurde ein Unterschied zwischen dem Ja zur Abtreibung und einem Ja zu Frau Harris gemacht. Und noch etwas: Die Wahl war auch ein Referendum über die die Prominenz der LGBT community (es gibt mittlerweile weitere Buchstaben) im linken Diskurs, die Verhaltens- und Sprachmandate hinsichtlich Geschlechtsidentiäten und Minderheitenempfindlichkeiten. Die Leute mögen es nicht, they sagen zu sollen anstatt he oder she. Und sie haben die endlosen Inklusionsprogramme (diversity, equality, inclusion) am Arbeitsplatz satt. Donald Trump signalisierte ihnen, dass Spott darüber ok ist.
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Auch die Schweizer Linke gut daran, die exit polls aus Amerika zu studieren. satt. Ähnlich wie die Democrats ist die Sozialdemokratie zur Partei der Besserverdienenden und zur Klagemauer jeder denkbaren Verletzung einer sozialen Identität geworden. Die US-Wahl zeigt, dass die Rücksicht auf Speckgürtelanliegen nicht genügt, um zu gewinnen, und dass die Fokussierung auf die Nöte von allen erdenklichen Minderheiten den Einsatz für die working class als Ganzes nicht zu ersetzen vermag. Ein bisschen Klassenkampf muss sein, ungefiltert. «Völker, hört die Signale». Nicht Völker:innen».
Und nun? Die Konsequenz aus der zweiten Amtszeit des Caudillo ist, dass Europa mehr für sich schauen muss. Die Macrons und Scholz haben das erkannt und fordern mehr europäischen Zusammenhalt, mehr Zusammenraufen in der EU, vor allem auch mehr Gemeinsamkeit bei der militärischen Verteidigung. Von der Schweiz ist zu erwarten, dass sie sich hier heraushält. Sie wird sich so rasch als möglich an die Trump-Administration herankriechen und – Tradition – versuchen, hier und da ein Extrawürstlein herauszuholen.
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Rechts nimmt den Wind aus Amerika auf. Der Bundesrösti hatte – nicht wahlberechtigt – die Trump-Parole schon vor der Wahl ausgegeben, und bereits äugelt die Volksparteimilliardären nach einem Freihandelsabkommen mit den USA. «Die Wirtschaft» lacht sich ins Fäustchen. Im helvetischen Mikroklima zieht eine Wetterwende auf. Der Anti-Amerikanismus, wie er nach der von den USA erzwungenen Schleifung des «Bankkundengeheimnisses» aufblühte wie weiland während des Vietnamkriegs zur Linken, dieser Widerwille gegen das böse Amerika wird sich in sein Gegenteil verwandeln: Gutes Trump-Amerika, verbündet im Kampf gegen die Einwanderung, das Andersartige, die Genderei. Gepaart mit dem Angeln nach Sonderkonditionen, Sonderstellungen in der Nische. Mit diesem Denken könnte der falsche Finger verbunden werden. Das gute Trump-Amerika wird wohl härter, egoistischer, gnadenloser sein als das böse alte.