20 Jan 2025, Mittag. Heute Abend (Schweizer Zeit) wird Donald Trump als 47. Präsident der USA vereidigt. Was früher ein feierliches Hochamt des friedlichen, vom Wahlvolk entschiedenen Machtwechsels war, ist im Zeitalter der Klicks, Tweets und Clips zu einer weiteren Walstatt des Kriegs um die Aufmerksamkeit “des Netzes” oder der “community” geworden. Sogar das Wetter ist einbezogen: Ich war in Washington, als Ronald Reagans zweite Inauguration wegen Kälte ins Innere des Capitol verlegt und die Parade abgesagt wurde. Keine grössere Sache damals, das Wetter halt. Heute Gegenstand von Erwägungen im endlosen Malstrom der “Einschätzungen” und “Perspektiven” von Politikwissenschaftlern und Fernsehköpfen.

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Man könnte das heute Nacht live verfolgen, und nicht nur auf den amerikanischen Sendern. Die europäischen sind mit dabei, die Schweizer auch. Kein Medium, das etwas auf sich hält, ist in Washington nicht zugange, überteuerte Hotels und mangelnder “Zugang” hin oder her. Bereits die Morgennachrichten sind vollgestopft mit “Eindrücken” von Korrespondenten, die sich Neuigkeiten, “Stimmungen”, “Stimmen” und dergleichen aus den Fingern saugen müssen – vor allem, weil die Konkurrenz es auch macht. Wehe, wenn einem ein Fitzel durch die Finger rinnt, das einem Chef, Oberchef oder desk in Zürich aufgefallen ist.

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Im Laufe des Tages und am Abend erst recht werden die Experten mobilisiert werden, in der Schweizer Szene meist Leute aus Zürich. Sie werden den Palmarès der Vorwürfe a den Caudillo rezitieren – das Register der in sich zusammengefallenen Strafverfolgungen, die wiederbelebten nationalistischen Parolen aus den dreissiger Jahren, den Rassismusverdacht, den Hohn gegen die Genderei. Weniger laut wird gesagt werden, was das Stimmvolk in den USA offenbar mehr motivierte: Die Verteuerung des Alltags, der Widerwille gegen weitere Kriegsverwicklungen, der Überdruss gegen die woke Mandate, vor allem jene am Arbeitsplatz. Und der Umstand, dass Frau Harris, die im Vergleich zu 2020 mehrere Millionen democrat Stimmen verlor und halt in Gottes Namen eine miserable Kandidatin war. Dafür schlägt heute die Stunde des grossen Einerseits-Andererseits. In die Expertise wird ein mehr oder minder gequälter Optimismus gemischt werden, der dem Caudillo etwas weniger als die prophezeite Apokalypse zutraut, gewürzt mit einer Pride einheimischer Trumpismusvariante. Im gebührenfinanzierten Äther dürfte der eine oder andere Weltwöchner auftreten.

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Neues wird im Wust des Ausgestrahlten nicht zu finden sein. Die Inaugurationsberichterstattung ist wie die Endlosberieselung vor einem grossen Sportfinal, mit dem Unterschied, dass dort das Ergebnis nicht feststeht, hier jedoch sehr wohl. Dass der Caudillo eingeschworen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche, von einem medizinischen Malheur beim alten Mann einmal abgesehen. Wir wissen auch, was nachher kommt: In den kommenden vier Jahren wird auf alle möglichen Arten versucht werden, die Exekutivgewalt des Präsidenten zur Allmacht auszubauen. Was immer an Umweltschutzmassnahmen besteht, wird nach Möglichkeit ausgeschaltet. Die Ölförderung wird bis zum Gehtnichtmehr verstärkt. Die Steuern werden gesenkt. Jede politische Auseinandersetzung, aussen und innen, ist transactional, will heissen: alles ist verhandelbar. Gibst du mir die Wurst, lösch ich dir den Durst. Das gilt insbesondere für die sogenannten “Werte”, die desto fleissiger bemüht werden, je mehr sie relativiert sind.

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Ich merke, dass ich wie die zwei alten Kacker auf dem Balkon der Muppet Show töne, bitter, enttäuscht. Zu bitter, zu enttäuscht wahrscheinlich. Aber zu Trump 2.0 fällt mir nichts weiter ein. Was noch zu sagen wäre, sagte am Samstagabend der Komiker Dave Chappelle im Eröffnungsmonolog von Saturday Night Live in einem Vergleich mit dem glücklosen Jimmy Carter. Er sei in Israel gewesen, als der Ex-Präsident dort zu Besuch gewesen sei und die besetzten Gebiete besuchte, erinnerte sich Chappelle. Die israelische Regierung habe ihm jeden Schutz verweigert (“zu gefährlich”), und Carter sei auf eigene Faust losgezogen, ohne Leibgarde. Die palästinensische Bevölkerung habe den Vater des Camp-David-Friedensschlusses begeistert gefeiert. Er traue sich keine Beurteilung von Carters Präsidentschaft zu, sagte Chappelle. “Aber in jenem Moment wusste ich: this is a great man. Trump? “Wir zählen auf Dich”, sagte Chappelle. We count on you.

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Gottlob habe ich heute Abend Besuch, ein Freund aus Berlin. Wir werden die Inaugurationsshow wahrscheinlich links liegen lassen und über Deutschland reden. Auch nicht unwichtig.

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P.S. 21 Feb 2025, Morgen. Bei Ronald Reagans ins Innere des Capitols Verleger Inauguration 1984 herrschte eine Temperatur von 7 Grad Fahrenheit. Bei jener von Trump gestern 27 Grad. Das ist der Unterschied zwischen “arktisch” und “frisch”. Der Caudillo ist eine Memme.